Der Kader von Hannover 96 ist in der (noch laufenden) Transferphase einem relativ umfassenden Wandel unterworfen. Einige Spieler mit großen Spielanteilen in der zurückliegenden Saison haben den Verein verlassen bzw. ihr Vertrag wurde nicht verlängert. Dem stehen einige Neuzugänge gegenüber, die teilweise auf Grund ihrer relativen Unbekanntheit nur schwer einzuschätzen sind.
Daher ist auch dieser Versuch einer Beurteilung der Möglichkeiten des Kaders sowohl in Hinblick auf seine Qualität, als auch auf die taktischen Optionen nur unter einiger Unsicherheit zu unternehmen. Hinzu kommt, dass wie bereits an anderer Stelle erwähnt die Idealvorstellungen von Tayfun Korkut noch nicht zuverlässig bis ins Detail eingeschätzt werden kann. Somit fällt es vor dieser Saison besonders schwer, das Auftreten und mögliche Abschneiden von 96 zu antizipieren. Das soll im Bewusstsein einiger Unbekannten an dieser Stelle dennoch versucht werden. Um die individuelle Qualität des Kaders so objektiv wie möglich einschätzen zu können, wird dabei der Goalimpact zurate gezogen. Über einen komplexen Algorithmus wird dabei vereinfacht gesagt ermittelt, wie groß der Einfluss des einzelnen Spielers auf die Tordifferenz seiner Mannschaft ist. Simpel gesprochen: Steht ein Spieler auf dem Feld, als seine Mannschaft in Führung geht, steigt sein Goalimpact. Fällt in seiner Anwesenheit ein Gegentor, wirkt sich dies negativ aus. Der Algorithmus bezieht dabei stets auch die Stärke (= den Goalimpact) seiner Mitspieler (und noch viele andere Faktoren) mit ein. Ein hoher Goalimpact ist somit ein relativ verlässliches Anzeichen für einen größeren Einfluss eines Spielers auf den positiven Ausgang für seine Mannschaft. Der Peak-GI gibt an, welche Entwicklung dem Spieler zum jetzigen Zeitpunkt zugetraut wird. In diese Prognose fließt unter anderem die aus der Beobachtung errechnete Alterskurve ein. Demzufolge erreicht der durchschnittliche Spieler seinen Leistungshöhepunkt mit 26. Danach geht es in der Regel bergab (aber nicht immer, der Peak-GI ist zudem nicht von Anfang der Karriere an fest definiert, er unterliegt ebenfalls Schwankungen). Es gilt also trotzdem: Losgelöst von der subjektiven, qualitativen Betrachtung eines Spiel(er)s kann selbst der Goalimpact zu voreiligen Rückschlüssen verleiten. Als Richtwert wird angenommen, dass ein durchschnittlicher Bundesligaspieler einen GI von etwa 100 aufweist. Klubs mit Ambitionen in die Europa-League einzuziehen sollten nach Spielern mit einem Goalimpact von 105 und höher Ausschau halten.
Der Kaderumbau: Ab- und Zugänge
Mit Szabolcs Huszti (möchte sein Chinesisch auffrischen) und Mame Diouf (in die Premier League zurückgekehrt) muss 96 den Abgang seiner beiden besten Scorer der abgelaufenen Saison verkraften. Auch Didi Ya Konan und Artjoms Rudnevs hinterlassen eine gewisse Lücke, da auch sie beide insbesondere in der Rückrunde oft auf dem Platz standen und für Tore und Vorlagen sorgten. In der Offensive war somit eine nahezu vollständige Neuaufstellung nötig. 96 verpflichtete im Zuge dieses Umbruchs Josélu und Kenan Karaman für den Sturm sowie Hiroshi Kiyotake für eine offensive Mittelfeldrolle.
In der Abwehr fällt der Wandel nicht ganz so umfassend aus, unterliegt aber einem bestimmten Schema: Mit Miiko Albornoz (23) und Vladimir Rankovic (21) wurden zwei sehr junge, entwicklungsfähige und in der Bundesliga unerfahrene Spieler als Außenverteidiger für 96 gewonnen. Nachdem Sébastien Pocognoli an West Bromwich Albion abgegeben wurde und Steven Cherundolo leider seine Karriere beendete, waren diese Verpflichtungen nötig. Vornehmlich für die Innenverteidigung wurde mit Stefan Thesker ein nicht mehr ganz so junger, aber nach wie vor eher unerfahrener Spieler mit flexiblem Potential verpflichtet. Zusammen mit den Leih-Rückkehrern Florian Ballas und Samuel Radlinger sowie der eigenen Nachwuchshoffnung Niklas Teichgräber tragen all diese Spieler dazu bei, dass nicht nur der Defensivbereich, sondern auch der gesamte Kader von Hannover 96 einer relativ radikalen Verjüngung unterworfen wurde. Im Vergleich damit wirkt der 26-jährige, ablösefreie Ceyhun Gülselam für die Sechserposition schon eher alt. Der kurzfristig auf Grund der Verletzungssituation ebenfalls ablösefreie Torwart Robert Almer liegt mit seinen 30 Jahren auch weit über dem jetzigen Altersdurchschnitt des Kaders, der mittlerweile auf etwa 24 Jahre gedrückt wurde.
Position: Tor
Mit Ron-Robert Zieler besitzt Hannover 96 eine unumstrittene Nummer 1, die sich nicht nur in der Bundesliga bereits auf konstant hohem Niveau bewährt hat. Zieler macht mit zunehmender Erfahrung immer weniger torwartspezifische Fehler und ist damit einer der verlässlichsten Spieler im Kader. Darüber hinaus bringt er – häufig selbst von einigen Hannover-Fans unbeachtet – große Qualitäten als mitspielender und vorausschauender Torwart mit. Als Paradebeispiel hierfür kann etwa das Rückrunden-Spiel gegen Mainz 05 herangezogen werden. In diesem Spiel kassierte er zwar zwei Gegentore (schuldlos), wehrte jedoch (ausnahmsweise mal) spektakulär eine große Torchance der Mainzer ab und war sehr aktiv und effektiv in der Spieleröffnung beteiligt. Oftmals bot er sich als zusätzliche Anspielstation einige Meter vor seinem Tor an und spielte klare, flache und intelligente Pässe zu seinen Mitspielern. Dabei antizipierte er auch die Störversuche der Mainzer Angreifer und umging diese meist geschickt. Diese Qualitäten Zielers sollte Tayfun Korkut ruhigen Gewissens in der kommenden Saison konstanter und planvoller nutzen. Dies wäre beispielsweise durch eine höhere Stellung der Außenverteidiger und eine breitere Position der Innenverteidiger im Spielaufbau auf einfachem Wege möglich. So könnte Zieler weiter vor seinem Tor agieren als in weiten Teilen der letzten Saison und auch unter Druck der gegnerischen Mannschaft eine stabile und ruhige Ballzirkulation unterstützen. Bisher musste Zieler oft durch schlechte Einbindung und gewisse Qualitäten im Offensivbereich (z. B. Kopfballstärke Andreasen, Diouf; Qualität bei zweiten Bällen Schmiedebach, Andreasen, Huszti) viele lange und hohe Bälle spielen (meist auf die Flügel). Dies rief auf Grund der natürlich gegebenen höheren Streuung solcher Bälle oft den Unmut der Zuschauer hervor und war nur manchmal erfolgversprechend. Doch mit einer anderen Spielanlage könnte neben Zielers klassischen Stärken nun auch die moderne Anlage seines Torwartspiels besser zur Geltung kommen.
Sollte Zieler allerdings ausfallen (was bisher so gut wie nie vorkam), kann diese Spielweise nicht mehr in der Form angewendet werden. Weder Markus Miller, noch Robert Almer verfügen über diese fußballerischen Qualitäten auf diesem Niveau. Sie müssten sich auf eine klassischere Torwartrolle „beschränken“ und die Stellung im Spielaufbau der Vorderleute angepasst werden. Samuel Radlinger scheint in dieser Hinsicht talentierter zu sein, hat jedoch auch auf Grund von Verletzungen noch nicht genügend Spielpraxis auf höherem Niveau sammeln können, um eine zeitnahe Alternative zu Zieler darstellen zu können. Dennoch ist bei ihm ein gewisses Potential definitiv festzustellen, sodass man ihn schrittweise an mehr Spielzeit heranführen sollte. Aber man muss anmerken, dass nahezu die gleiche Beschreibung vor etwa drei Jahren auch auf Ron-Robert Zieler gepasst hätte. Und dieser wurde relativ plötzlich zum Stammtorwart in der ersten Liga und regelmäßiger Gast in der Nationalmannschaft. Zumindest ersteres könnte sich bei günstigem Verlauf von Radlingers Entwicklung in den nächsten Jahren wiederholen.
Spieler | Position | aktueller GI | PeakGI |
Ron-Robert Zieler | TW | 105.4 | n. vorh. |
Markus Miller | TW | 84.4 | n. vorh. |
Samuel Radlinger | TW | 104 | n. vorh. |
Robert Almer | TW | k. A. | n. vorh. |
[zur Einordnung: Für Torhüter konnte noch keine Alterskurve erstellt werden, somit werden keine Peak-Werte angegeben; der Erfahrung nach können Torhüter auch in späteren Phasen der Karriere noch hohe Werte halten oder sich sogar steigern; Zielers verhältnismäßig niedriger Goalimpact ist auch darauf zurückzuführen, dass er in der Jugend wenige Spiele absolviert hat (und evtl. seine Spiele aus der Reserve League für ManUtd gar nicht in der Datenbank erfasst wurden). Der Bundesliga-Durchschnitt im Tor liegt bei etwa 101]
Position: Außenverteidigung
Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Tempo, den taktischen Anforderungen und der Kommunikation (sprich: mit allem) hat sich der japanische WM-Teilnehmer Hiroki Sakai im Verlauf der letzten Saison immer mehr stabilisiert und zu einem eher überdurchschnittlichen Rechtsverteidiger entwickelt. Er ist auf Grund seiner Anlagen dazu in der Lage, durch seine Schnelligkeit (auf mittlerer Distanz) und seine robuste Zweikampfführung seine Seite defensiv zufriedenstellend abzusichern. Ein paar Probleme bereitet es ihm nach wie vor, nach einer schnellen Verlagerung des Gegners auf seine Seite rechtzeitig in die richtige Position zu kommen, in diesen Situationen wirkt er oftmals etwas orientierungslos. Offensiv verfügt Sakai ebenfalls über recht ansehnliches Potential. Er beherrscht ansprechende lange Sprints aus der Tiefe die Linie entlang, an deren Ende eine relativ gefährliche Hereingabe erfolgt. Gegen Ende der Rückrunde überraschte er auch das eine oder andere Mal mit einer kurzen Ablage in den Halbraum an Stelle einer etwas unkreativen Flanke. Generell ist Sakai technisch in Ordnung, sodass er auch in ein Kombinationsspiel einigermaßen gut eingebunden werden kann. Jedoch dürfen dafür die Räume nicht allzu eng werden. Schafft er es jedoch, den Ball in einer solchen Situation zum Mitspieler zu bringen, kann er durch seine dynamischen Antritte einen vertikalen Pass erlaufen. Grundsätzlich musste sich Sakai systembedingt in den ersten Spielen unter Korkut offensiv noch etwas zurückhalten. Mit einer eintrainierten, strukturiert durchgeführten Absicherung (beispielsweise durch einen Sechser) könnte man ihn jedoch immer mehr von der Kette lassen.
Die Alternative zu Sakai auf der Position rechts in der Viererkette ist der vom Nachwuchs des FC Bayern gekommene Vladimir Rankovic. Nach den ersten Eindrücken aus den Testspielen ist er für sein Alter defensiv bereits überraschend stabil und scheint keine extremen körperlichen Defizite aufzuweisen. Offensiv hielt er sich bisher noch eher zurück, doch ganz schlecht wird er auch am Ball wohl kaum sein. Dennoch ist von einer größeren Zurückhaltung seinerseits im Offensivspiel auszugehen, sollte er zu ersten Einsätzen in der Bundesliga kommen. Hat er sich aber erst an das Tempo der Bundesliga gewöhnt und weiterentwickelt, besitzt 96 mit Rankovic ein enorm großes Talent in seinen Reihen (laut GI eines der größten in Deutschland).
Auf der anderen Seite fällt die Einschätzung unter umgedrehten Vorzeichen, aber von der möglichen Struktur her ähnlich aus: Der erfahrenere und besser einzuschätzende Linksverteidiger ist der, der unter Umständen weniger Spielanteile erhalten könnte als der Neuzugang. Christian Pander war oft von kleineren Verletzungen geplagt, die ihn immer wieder zum Formaufbau zwangen. Defensiv erfüllt er seine Aufgaben recht solide, hat jedoch in dieser Hinsicht ähnliche Probleme wie Hiroki Sakai. Dazu mangelt es ihm ein wenig an der Antrittsschnelligkeit. Offensiv wirkt sich dies ebenfalls negativ aus, sodass lediglich Halbfeldflanken, Standards und weite Einwürfe verlässliche Offensivstärken Panders werden könnten. Miiko Albornoz hingegen ist zwar schwerer einzuschätzen, aber wohl auch der variablere der beiden Konkurrenten um den Stammplatz links in der Abwehr. Ähnlich wie Sakai scheint er ein eher linearer Außenverteidiger zu sein. Sein Offensivdrang ist jedoch etwas stärker ausgeprägt, da er in der Jugend vermehrt als Flügelstürmer „ausgebildet“ wurde. Inwieweit Albornoz als kombinationssicherer Verteidiger geeignet ist, kann noch nicht abschließend bewertet werden. Für geradlinige Flügelläufe nach einem Ballgewinn im Zentrum reicht es aber allemal. Es könnte auf Grund der Umgewöhnung an das höhere Tempo der Bundesliga jedoch sein, dass zunächst Pander zu mehr Einsätzen kommt, ehe das Pendel schrittweise in Richtung Albornoz umschlägt. Wenn dieser seine Möglichkeiten zur Entwicklung ausnutzen kann und eine passende Rolle zugewiesen bekommt, kann er zu einem überdurchschnittlich guten Linksverteidiger werden.
Spieler | Position | aktueller GI | PeakGI |
Hiroki Sakai | RV | 104.2 | 108.0 |
Vladimir Rankovic | RV | 115.4 | 133.0 |
Miiko Albornoz | LV | 105.2 | 110.9 |
Christian Pander | LV | 96.9 | * |
[zur Einordnung: Der PeakGI sagt wie erwähnt aus, wo der Spieler nach derzeitigem Stand bei optimaler Entwicklung landen kann. Für Spieler über 26 Jahre (in diesem Fall Pander) habe ich keinen PeakGI angegeben, weil er nicht mehr so intuitiv verständlich ist wie bei jungen Spielern. In der Folge bedeutet * immer, dass der Spieler älter als 26 Jahre ist und ich den Wert somit weggelassen habe. Rankovics relativ hoher aktueller GI ist natürlich mit Vorsicht zu genießen. Alle bisher in seiner Datenbank befindlichen Spiele stammen maximal aus der Regionalliga. Aber sollte Sakai ausfallen und Rankovic spielen, hätte ich keine schlaflosen Nächte. Und man sollte sich darum bemühen, dass Rankovic a) bereits diese Saison relativ regelmäßig in die Bundesliga reinschnuppern darf und er b) eine Ausstiegsklausel in zweistelliger Millionenhöhe im Vertrag hat. 137.5 ist ein brutaler Wert, solche Spieler spielen normalerweise nicht bei 96. Rankovic könnte aber vielleicht schon diese Saison eine der Überraschungen werden. Vielleicht mal ein bisschen Geld drauf wetten? Zumindest aber bei comunio kaufen!]
Position: Innenverteidigung
Für diese Position wird offensichtlich auf Grund der langwierigen Verletzung von André Hoffmann noch eine (kurzfristige und temporäre) Verstärkung gesucht. Somit ist diese Einschätzung zumindest zum Teil noch eher unsicher. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass auch zu Saisonbeginn die Innenverteidigung bei 96 von Christian Schulz und Marcelo gebildet wird. Beide haben unterschiedlich ausgeprägte Stärken und sind sich nur teilweise als Spielertyp ähnlich. Beide sind kopfballstark und nicht die schnellsten ihrer Zunft. Marcelo löst jegliche Art von Zweikampf eher über seine enorme Robustheit (was oft vom Schiedsrichter geahndet wird) und führt Zweikämpfe sehr hart und direkt, während Schulz dabei etwas bedachter agiert. An guten Tagen weisen beide trotz dieser unterschiedlichen Herangehensweise jedoch sehr gute Zweikampfwerte auf. Im Bereich der Spieleröffnung sind ebenfalls Unterschiede zu beobachten. Beide tun sich dabei nicht mit extremer Kreativität oder großem Risiko hervor und wählen bevorzugt kurve, flache Pässe. Schulz tendiert dabei eventuell eher zu raumbringenden, vertikalen Anspielen als der Brasilianer. Setzt der Gegner sie unter Druck, regiert Schulz besonnener und ruhiger als Marcelo, welcher insbesondere in seiner Anfangszeit in Hannover als Reaktion auf Gegnerdruck den Ball lang auf die Tribüne bolzte. Beide können somit defensiv in allen Bereichen stabil agieren (auch nach Flanken, Standards, gegen nicht zu schnelle kurze Kombinationen, gegen nicht zu quirlige Stürmer), werden aber im Spielaufbau nicht unbedingt regelmäßig Eindruck machen. Am besten wäre es wohl, ihnen mehrere möglichst kurze Anspielstationen anzubieten (etwa durch zwei zurückfallende Offensivspieler und einen abkippenden Sechser) und nur gelegentlich riskantere, vertikale Anspiele einzustreuen.
In dieser Hinsicht vielversprechender könnte Felipe anstelle von Christian Schulz agieren. Er verteidigt ähnlich körperbetont wie beispielswiese Marcelo, setzt diese Stärke jedoch anders ein. Er versucht bereits frühzeitig, den Ballführenden zu attackieren. Auch rückt er aggressiv aus der Kette heraus, um gegnerische Spieler bereits vor oder bei der Ballannahme zu stören und dort den Ball zu erobern. Diese Interpretation seiner Rolle ist seit einiger Zeit ein gewünschtes Verhalten und wird als modernes Verteidigen „nach vorne“ bezeichnet. Doch ohne entsprechende Reaktion seiner Mitspieler birgt dieses Abwehrverhalten auch gewisse Risiken. Der zweite Innenverteidiger müsste beispielswiese möglichst schnell diagonal hinter dem herausrückenden Felipe absichern und dabei schnell den eigenen Raum (oder Gegenspieler) an den Außenverteidiger übergeben (das müsste wiederum ein Sechser oder der offensive Flügelspieler kompensieren, und so weiter). Ein Auffangen dieser Bewegungen durch die gesamte Kette und noch weitere mit defensiven Aufgaben betraute Spieler ist erforderlich. Kann diese Methode allerdings eintrainiert werden, ermöglicht sie frühe Ballgewinne auch in ballnaher scheinbarer Unterzahl und die Möglichkeit, durch schnelles Umschalten den aufgerückten Gegner auszuspielen. In der Spieleröffnung agiert Felipe ebenfalls riskanter und kreativer als die übrigen Innenverteidiger im Kader. Doch generell muss Felipe ein ausreichendes Fitnessniveau erreichen, um die Streuung in seinen Aktionen zu minimieren. Insofern könnte er im Laufe der Saison einerseits zu einer sehr interessanten Alternative werden, die neue Möglichkeiten im Defensivspiel der gesamten Mannschaft eröffnet. Ihn andererseits verfrüht in eine unpassende Struktur einzubinden, kann gefährlich werden.
Von den Nachwuchsspielern auf dieser Position ist am ehesten Stefan Thesker zuzutrauen, eine bundesligataugliche Rolle einzunehmen. Er scheint ebenfalls recht solide und zurückhaltend zu agieren und lässt noch Spielraum zur Entwicklung erkennen. Einige Ansätze gewagterer Vertikalpässe im Spielaufbau waren in den Testspielen ebenso zu erkennen, wie auch leichte Probleme im Stellungsspiel nach dem Verschieben (und ein einzelner Fall von „was soll das… fünf Kontakte und dann son Pass, da bringt er uns in solche Schwulitäten“; Korkut während des Testspiels gegen Csakvar TK). Die Innenverteidigung ist eventuell als die Position zu betrachten, die noch am ehesten Luft nach oben lässt. Defensiv können die Spieler die Aufgabe gut und schlicht erfüllen, was das Gestaltungspotential und die Spielintelligenz müssen jedoch Abstriche gemacht werden. Aber das ist eher Jammern auf mittelhohem Niveau, andere Bundesligisten haben diese Probleme auch. Man muss sich dessen nur bewusst sein und die Strukturen anpassen, was einigermaßen gut zu schaffen sein müsste.
Spieler | Position | aktueller GI | PeakGI |
André Hoffmann | IV | 94.2 | 109.8 |
Stefan Thesker | IV | 106.5 | 113.5 |
Christian Schulz | IV | 104.4 | * |
Felipe | IV | 101.1 | * |
Marcelo | IV | 126.1 | * |
Florian Ballas | IV | 95.5 | 110.3 |
Marius Stankevicius | IV | 77.6 | * |
[zur Einordnung: Tja, Thesker ist wohl doch eine ernstzunehmendere Alternative als man denkt. Zumal er auch bei guter Entwicklung ein wirklich überdurchschnittlich guter Verteidiger werden kann. Auch Ballas sollte man für die Zukunft vielleicht noch nicht abschreiben. Und es wäre dämlich, Hoffmann perspektivisch gesehen einen weiteren Konkurrenten vor die Nase zu setzen. Eine Leihe für diese Saison erscheint als bessere Lösung. Wurde mit Stankevicius jetzt einigermaßen zufriedenstellend erledigt. Mit Marcelos geschätztem GI lag ich ordentlich daneben.]
Position: Defensives Mittelfeld
Durch die Verpflichtung von Ceyhun Gülselam kann Tayfun Korkut nun zwischen drei verschiedenen Spielertypen wählen, mit denen auch verschiedene Systemmöglichkeiten einher gehen. Aber auch an dieser Stelle muss leider entschuldigend angemerkt werden, dass auch Gülselam einzuschätzen zum jetzigen Zeitpunkt eher schwierig ist.
Leon Andreasen als Sechser ist von seinen Impulsen her prädestiniert für schnelle, vertikale Angriffe durchs Zentrum. Sehr oft waren bei ihm in seiner gesunden Zeit Szenen zu beobachten, die nach einem sehr ähnlichen Muster abliefen: im Zentrum wurden dem Gegenspieler die Optionen verstellt, sodass Andreasen den Ball im direkten, relativ kompromisslos geführten Zweikampf gewinnen konnte. Von dort spielte er einen nicht zwingend kurzen, flachen Pass auf den Flügel oder in die Spitze und startete wuchtig in die Spitze. Erhielt er dort den Ball wieder, egal ob flach oder per Flanke, brachte er ihn auf und relativ oft sogar ins Tor. Dieser Stärke sollte man sich auch nach wie vor bedienen, ohne sich ausschließlich auf sie zu verlassen. Es geht mit dieser Stärke jedoch auch einher, dass Andreasen unbedingt einen Nebenmann im zentralen defensiven Mittelfeld benötigt. Dieser übernimmt dabei (natürlich nicht alleine) mehrere Aufgaben: Zum einen ist er entscheidend daran beteiligt, Andreasen in die Situation zu bringen bei eher geringem Spieltempo in den Zweikampf gehen zu können, zum anderen muss er für den Fall einer Unterbrechung der Umschaltsituation die Absicherung übernehmen. Darüber hinaus ist Leon Andreasen defensiv wie offensiv kopfballstark und auch zu gelegentlichen guten Seitenverlagerungen fähig. In engeren Räumen zu kombinieren liegt ihm jedoch nur bedingt, sodass eine alleinige Aufstellung als Sechser keine gute Entscheidung wäre.
Manuel Schmiedebach andererseits verkörpert den Idealen Assistenten für einen Spieler wie Leon Andreasen. Er erkennt entstehende Lücken in der eigenen Defensive recht gut und ist auf Grund seiner Wendigkeit und Laufstärke in der Lage, sie noch rechtzeitig zu schließen. Im Zweikampf verhält er sich oftmals nicht außergewöhnlich effektiv, aber er schafft es oft, dass der Gegenspieler nicht wie gewünscht an ihm vorbeikommt. Schmiedebachs Offensivdrang ist deutlich weniger stark ausgeprägt als Andreasens. Zudem ist Schmiedebach weniger ballorientiert in seinen Bewegungen, oft geht er diagonale oder horizontale Laufwege ein und schafft somit teilweise Räume für die Mitspieler. Insgesamt wirkt sich Schmiedebachs Spiel eher stabilisierend, dabei aber nicht unbedingt beruhigend auf die Mannschaft aus. In Kombinationen könnte er eingebunden werden, indem er sich ein wenig fallen lässt und von dort das Spiel gewissermaßen verwaltet. Enge Räume sind der Qualität seines Passspiels nicht unbedingt abträglich, sodass er auch bei der Überladung (= Überzahl schaffen) von Halb- und Flügelräumen eingebunden werden könnte.
Ceyhun Gülselam scheint gegenüber Schmiedebach neben den körperlichen Vorzügen (Reichweite, Kopfballstärke, Robustheit) mit einem etwas besseren strategischen Geschick ausgestattet zu sein. Dieses Attribut wird ihm jedenfalls von Tayfun Korkut zugeschrieben, der ihn wohl deutlich öfter hat spielen sehen als ich. Die ersten kurzen Eindrücke aus seinem ersten Testspieleinsatz boten jedenfalls keinen Anlass, an seiner generellen Bundesligatauglichkeit zu zweifeln. Sollte diese Beschreibung zutreffen und er sich schnell an die Bundesliga gewöhnen, könnte somit auf eine interessante taktische Option zurückgegriffen werden können: das Spiel mit nur einem Sechser. Durch eine eher stabilisierende, absichernde Positionierung im Angriffsspiel könnte Gülselams Aufstellung Platz für einen zusätzlichen, offensiver ausgerichteten Akteur schaffen. Die Rolle als alleiniger Sechser ist jedoch äußerst komplex und in jeder einzelnen Facette hoch anspruchsvoll. Der alleinige Sechser muss nicht nur ohne Ball, sondern auch im eigenen Spielaufbau strategisch kluge, vorausschauende Entscheidungen treffen, muss unter Druck ballsicher (pressingresistent), im direkten Zweikampf nicht ohne weiteres zu überwinden sein und über eine fehlerresistente Technik verfügen. Zudem muss er gewisse läuferische Qualitäten an den Tag legen, da er unter Umständen in sehr großen, breiten Spielfeldzonen Zugriff herstellen können muss. Es hat daher gute Gründe, dass in der jüngeren Vergangenheit in der Bundesliga nur außergewöhnliche Spieler mit dieser Aufgabe betraut wurden (u. a. Daniel Baier, kurz Phillip Lahm, Javi Martinez) und die überwiegende Mehrheit der Mannschaften mit zwei oder sogar drei defensiven Mittelfeldspielern auftrat. Daher sollte man diese Variante mit Gülselam unbedingt im Auge behalten, aber nicht davon ausgehen, dieses System in naher Zukunft auf dem Platz zu sehen. Eine vielversprechende Alternative stellt sie aber, sofern Korkut mit seiner Einschätzung in Sachen Gülselam richtig liegt und dieser es zeigen kann, auf jeden Fall dar.
Spieler | Position | aktueller GI | PeakGI |
Leon Andreasen | DM | 87.7 | * |
Ceyhun Gülselam | DM | 112.9 | 114.3 |
Manuel Schmiedebach | DM | 116.2 | 117.1 |
Yannick Schulze | DM | 76.4 | (115) |
[zur Einordnung: Da Gülselams Goalimpact auf Basis einiger Spiele auf hohem Niveau zustande gekommen ist, kann man davon ausgehen hier einen richtig guten Transfer getätigt zu haben (vor allem weil er ablösefrei wechselte). Schmiedebach erreicht mit 26 bald seinen prognostizierten Peak (hat sich insgesamt auch fast besser als erwartet entwickelt, die Kurve geht seit Jahren kontinuierlich nach oben) und liegt mit 116.2 ein gutes Stück über dem Bundesliga-Durchschnitt. Schulze ist noch nicht bereit für die Bundesliga, sollte aber eventuell auf im Auge behalten werden.]
Position: Offensives Mittelfeld (auch offensive Flügel)
Zwischen zentraloffensiven und eher auf den Flügeln beheimateten Mittelfeldspielern zu unterscheiden, ist spätestens seit dem Abgang von Szabolcs Huszti nicht besonders sinnvoll. Darüber hinaus lässt sich schon aus Korkuts ersten Maßnahmen nach seinem Amtsantritt erkennen, dass eine generelle Zentrumsorientierung auch bei Flügelspielern erwünscht und gefordert ist. Somit werden diese beiden Wirkungsbereiche zusammen betrachtet, was wie noch zu sehen ist auch inhaltlich absolut sinnvoll ist.
Lars Stindl ist der wohl am meisten mit der Erfolgsserie am Ende der Rückrunde verknüpfte Spieler im Kader von Hannover 96. Ihm kam in den letzten Spielen defensiv, aber vor allem natürlich offensiv eine neue und hervorstechende Rolle zu, als er als hängende Spitze aufgeboten wurde. Folgerichtig wurde ihm vor dieser Saison die Rückennummer 10 zugeteilt. Auf Grund all dieser Tatsachen und den ersten Beobachtungen der Testspiele wird Stindl hier entgegen der persönlichen Wünsche und Vorlieben des Autors nicht als defensiver, sondern als offensiver Mittelfeldspieler gelistet. So ist auch zu erwarten, dass er in der kommenden Saison in diesen Spielfeldregionen anzutreffen sein wird. Und er kann es. Wie er so einiges kann. Stindl ist kein im klassischen Sinne kreativer 10er für den letzten tödlichen Pass. Doch er erfüllt die Aufgabe durch intelligente Unterstützung seiner Mitspieler und ein großes Spielverständnis. Er findet eine gute Balance zwischen dem helfenden Zurückfallen im Spielaufbau und der Präsenz in offensiven, torgefährlichen Zonen. Dazu weiß er auch mit dem Ball am Fuß einiges recht stabil anzufangen und kann sich in nahezu jeder Situation auf dem Platz gut orientieren. Im Spiel gegen den Ball hilft ihm seine Spielintelligenz ebenfalls, sodass er in eigentlich jeder Phase des Spiels Einfluss auf das Geschehen nehmen kann. Diesen Einfluss büßt er auf dem rechten Flügel, der Position die er bei 96 am häufigsten bekleidet hat, etwas ein, versucht sich allerdings auch von dort immer wieder in die Zentrale zu bewegen. Lediglich eine Position links in einer offensiven Reihe käme ihm wohl nicht so sehr entgegen, da ihm dafür nach wie vor ein wenig der Zug zum Tor fehlt. Doch auch von dort könnte er seine recht gute Entscheidungsfindung einbringen, wäre also möglicherweise auch auf dieser Position nicht völlig nutzlos. Stindls Mankos sind, wenn man sie überhaupt so bezeichnen möchte, eher instabile Flanken (was er im Zentrum aber auch nicht wirklich braucht) und leichte Probleme im defensiven Zweikampf. Doch er schafft es auch in Umschaltsituationen immer wieder, sich schnell zu orientieren und kann sein Spiel durchaus auf vertikale Aktionen verlagern (Pässe und Laufwege). Lars Stindl ist somit im Zentrum (und mit minimalen Abstrichen auch auf dem Flügel) eine verlässliche Allzweckwaffe. Er kann flexibel verschiedene Rollen ausfüllen, ohne dass man einen großen Qualitätsabfall feststellen kann.
Neuzugang Hiroshi Kiyotake hat eine eher bescheidene Saison mit dem 1. FC Nürnberg hinter sich. Dennoch waren dem Vernehmen nach einige Vereine an einer Verpflichtung interessiert, was normalerweise ein sicheres Anzeichen für hohe spielerische Qualität sein müsste. Doch es ist bei weitem nicht so, dass Kiyotake ein kompletter Offensivspieler wäre, der jeder Mannschaft helfen würde. Vielmehr ist es so, dass Kiyotake einige herausragende Qualitäten besitzt, gleichzeitig aber auch teilweise deutliche Schwächen offenbart. So ist es Kiyotake durch seine hervorragende Technik am Ball und seine Wendigkeit möglich, sich aus sehr engen Räumen zu lösen und mit seinen Mitspielern auch unter Druck zu kombinieren. Darüber hinaus findet er in solchen Situationen, in denen er wenig Platz zur Verfügung hat, auch gelegentlich gute Möglichkeiten, seine Mitspieler mit einem entscheidenden Pass einzusetzen. Die Qualität seiner Standards und Flanken ist zudem in der Regel sehr hoch, sodass er auch auf diesem Weg für jeden Gegner gefährlich werden kann. Zu den Schwächen Kiyotakes zählt jedoch, dass er große Räume nicht besonders dynamisch bespielen kann. Seine körperliche Unterlegenheit gegenüber den meisten Defensivspielern spielt dabei eine Rolle. Außerdem fehlt ihm ein stärker ausgeprägtes strategisches Geschick. Dies äußert sich sowohl in seinen Bewegungen im Spiel ohne Ball, als auch in tiefen Spielzonen am Ball. Auch sein Defensivverhalten ist meist wenig engagiert. Dabei spielt es grundsätzlich keine große Rolle, ob er als zentraloffensiver Spieler aufgeboten wird oder vom linken Flügel kommt. Die nach innen ziehenden Bewegungen von links könnten stattdessen sogar eher seinen Stärken zuträglich sein, da er auch gelegentlich mit ordentlichen Dribblings und Distanzschüssen aufwarten kann. Somit sollte die für hannoversche Verhältnisse hohe Ablösesumme nicht die Illusion erzeugen, einen überragenden Offensivakteur verpflichtet zu haben. Sollte es allerdings gelingen, Kiyotake in ein System einzubauen, das seine Stärken vollständig zum Tragen bringt, wird er für 96 einen großen Mehrwert darstellen können. Dabei ist es wohl weniger entscheidend, ob er im Zentrum oder auf dem Flügel aufgestellt wird. Kiyotake sollte einfach immer dort anspielbereit sein, wo es in Tornähe eng und schnell wird. Von dort kann er dann einen entscheidenden Pass spielen oder die Kombinationen am Laufen halten.
Edgar Prib stellt überspitzt ausgedrückt den Gegenentwurf zu Hiroshi Kiyotake dar. Vielen Fans fällt beim Namen Prib wohl auf Anhieb kein besonders herausragendes Attribut ein, doch signifikante Schwächen sind abgesehen von der Torgefährlichkeit ebenso kaum auszumachen. Prib ist ebenso laufstark wie technisch versiert, im Zweikampf eher unangenehm, dynamisch und strategisch nicht unbegabt. Er ist nicht auf eine bestimmte Position festgelegt und kann vom zurückhaltenden oder offensiv ausgerichteten Linksverteidiger bis zum Halbstürmer alles spielen. Da seine wohl größte Stärke in seiner Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit liegt, ist er auch nicht auf eine bestimmte Spielweise festgelegt. Weiträumigere Aktionen liegen ihm eher als das Spiel auf extrem engem Raum, doch auch in diesem Aspekt ist er kein Totalausfall. Seine Technik ist solide bis gut, seine Fähigkeiten im Kurzpassspiel sind ausbaufähig, aber vorhanden. Standards und Flanken beherrscht er ebenso gut wie er defensiv zuverlässig mitarbeitet. Edgar Prib ist somit flexibel einsetzbar, er könnte sogar eine taktisch etwas intelligentere und nur dosiert offensiv und nicht so lineare Rolle als Linksverteidiger einnehmen, um eine bessere Absicherung seiner Vorderleute zu gewährleisten.
Leo Bittencourt hingegen ist ein offensiverer Spielertyp als Prib, der zudem technisch stärker und in engen Räumen effizienter agiert. Andererseits geht ihm eine Konstanz oder Zuverlässigkeit in allen Bereichen ab. Auch, wenn seine defensive Mitarbeit wie sein gesamtes Spiel extrem engagiert ist, ist er dabei gelegentlich noch zu stürmisch und unbedarft. Sein Offensivspiel war anfangs von extrem vielen schlechten Entscheidungen (wann wohin spielen, wann wohin laufen, wann den Abschluss suchen…) geprägt, mittlerweile hat sich dies allerdings deutlich gebessert. Bittencourt könnte eines Tages in eine zentrale Rolle hineinwachsen, vorerst ist er allerdings auf den Flügeln mit Orientierung ins Zentrum besser aufgehoben. Er ist auf Grund seiner technischen Klasse jedoch für kurze, schnelle Kombinationen in engen Räumen sehr gut geeignet. Für weiträumigere Aktionen und darauf folgende direkte Zweikämpfe fehlt ihm noch die physische Robustheit. Kontinuierliche, eher kurze Bewegungen und kurze, schnelle Pässe dürften ihm momentan am besten liegen. Aber durch seine Schnelligkeit kann er auch in Kontersituationen von Nutzen sein, wenn er offene Räume schnell erschließt und in kurzer Zeit zum Abschluss kommt. Bittencourt eröffnet daher wie auch nahezu alle anderen Offensivspieler die Möglichkeit, weder auf eine bestimmte Angriffsstruktur, noch auf eine konkrete Position festgelegt zu sein.
Jan Schlaudraff ist der wohl im klassischen Sinn kreativste Spieler im Kader von Hannover 96. Seine in den letzten Monaten bevorzugte Spielweise ist die des Zurückfallens, um von dort mit dem Ball am Fuß eher diagonal zwischen die Linien des Gegners zu dribbeln. Von da kann er entweder nun geöffnete Räume anspielen oder direkt versuchen, durch einen gefährlichen Schnittstellenpass einen Mitspieler vor dem Tor einzusetzen. Der seit Jahren öffentlich vertretenen Meinung, er würde sich nicht genug am Spiel der Mannschaft beteiligen, versucht er immer wieder mit übermotiviertem Defensivverhalten (völlig sinnlose und gefährliche Grätschen) zu begegnen. Schnelles Umschalten kommt ihm auf Grund seiner immer weiter abnehmenden Schnelligkeit (auf große Distanzen) nicht besonders entgegen. In einer ruhigeren Spielanlage könnten sein Zurückfallen und seine gute Spielübersicht gepaart mit seinen technischen Möglichkeiten jedoch unter Umständen sehr gut zur Geltung kommen. Sowohl schnelles Passspiel, als auch überraschende Dribblings könnten eine Möglichkeit sein, ihn in das Spiel einzubinden. Tim Dierßen ist ein möglicherweise ähnlicher Spielertyp wie Schlaudraff, hat seine besten Jahre aber noch vor sich. Auch er sollte in den nächsten zwei Jahren kontinuierlich an die Bundesliga herangeführt werden, sodass er sein enormes Potential hoffentlich in naher Zukunft abrufen kann.
Spieler | Position | aktueller GI | PeakGI |
Lars Stindl | OM | 102.1 | 102.4 |
Hiroshi Kiyotake | OM | 97.0 | 99.9 |
Jan Schlaudraff | OM | 94.2 | * |
Tim Dierßen | OM | 81.2 | 122.2 |
Edgar Prib | LM | 106.8 | 109.8 |
Leonardo Bittencourt | LM | 92 | 112.6 |
[zur Einordnung: Sollte eigentlich alles klar sein. Dierßen kann wie gesagt mal ein wirklich sehr guter Mittelfeldspieler werden, momentan ist er als dauerhafter Bundesligaspieler aber wohl noch nicht weit genug. Dass Prib hingegen einen deutlich besseren Goalimpact hat als Kiyotake sollte nur den subjektiven Eindruck untermauern, dass Kiyotake nur bei richtiger Einbindung ein Gewinn für 96 wird. Bittencourts niedriger GI sollte nur kurz abschrecken. Schließlich ist er immer noch sehr jung und die Entwicklung seit er bei 96 spielt ist eindeutig positiv. Sollte sein Weg annähernd so weitergehen, knackt er ziemlich schnell die 100.]
Position: Sturm
Auch im Angriff lässt sich als Leitmotiv dieses Kaders die gestiegene Flexibilität ausmachen: Sobiech, Karaman und Josélu sind oberflächlich betrachtet ähnliche Stürmertypen, die sich eher in Nuancen voneinander unterscheiden. Allesamt sind keine statischen, reinen Strafraumstürmer, obwohl sie angesichts ihrer Statur als solche gelten könnten. Josélu ist wohl der technisch stärkste und am meisten abschlussorientierte aus diesem Trio, zudem sticht er mit einem sehr guten Kopfballspiel hervor. Inwiefern sich Josélu in tiefere Räume fallen lässt und wie kompetent er in Sachen Pressing ist, wird man wohl erst im Laufe der Saison beurteilen können. Die ersten Testspieleindrücke lassen darauf schließen, dass er relativ gut in kurze, flache Kombinationen eingebunden werden kann und auch gelegentlich auf die Flügel ausweicht.
Artur Sobiech hingegen ist ein weniger tororientierter Stürmer als Josélu. Seine Stärke besteht darin, sich etwas fallen zu lassen und Räume im Zwischenlinienbereich nutzen zu können. In diesen Zonen ist er anspielbereit und kann Kombinationen am Leben erhalten. Durch seine körperlichen Vorzüge ist er dennoch dafür geeignet, mit Schwung in die Spitze vors Tor zu stoßen und Tore zu erzielen. Es hängt von der generellen Spielstruktur ab, ob er diese Bewegungen reduzieren müsste, wenn er als alleinige Spitze agiert. Generell wäre ein zumindest in bestimmten Spielsituationen vorhandener Sturmpartner für Sobiech jedoch nach den bisherigen Eindrücken wohl von Vorteil. Als Gedankenspiel soll an dieser Stelle eine etwas unkonventionelle Rolle Sobiechs als falsche Neun zumindest geäußert werden. Er könnte so als flexibler, etwas zurückgezogener Wandspieler auftreten, der auch über gute Fähigkeiten verfügt, den Ball abzuschirmen und zu halten. Doch diese Überlegung wird mit ziemlicher Sicherheit eine illusorische Spielerei bleiben, zumal sie Sobiechs Naturell nur zum Teil entspricht.
Neuzugang Kenan Karaman trägt nicht nur zur Verjüngung des Kaders bei, sondern erweitert den Kader um gewissermaßen eine Hybridform aus Josélu und Sobiech. Trotz seines jungen Alters verfügt er über eine ansprechende Robustheit und Kopfballstärke. Die ersten Eindrücke aus seiner Zeit bei 96 zeigten eine sehr gute Ballbehandlung und Orientierungsfähigkeit. Durch seine technische Stärke ist er auch in der Lage, sich an Kurzpassspiel zu beteiligen, ohne gleichzeitig den Zug zum Tor einzubüßen. Eine Rolle als Halbstürmer könnte ihm bei etwas besserer Beteiligung an der Defensivarbeit liegen, da er in dieser Position größeren Zugriff aufs Spiel erlangen könnte, ohne dass die Präsenz im Sturmzentrum aufgegeben werden müsste.
Mit Valmir Sulejmani erfüllt ein hoffnungsvolles Eigengewächs eine Zwischenrolle aus offensivem Mittelfeldspieler und Stürmer. Durch seine Schnelligkeit und technischen Fähigkeiten kann er sowohl eine Flügelposition, als auch eine Rolle als hängende Spitze ausfüllen. Zwar kann er bereits einige Minuten in der Bundesliga als Erfahrung aufweisen und sollte auch angesichts seines enormen Talents weiter an die erste Mannschaft herangeführt werden. Doch vorerst scheint Spielpraxis in der U23 die effektivere Variante, zu seiner Weiterentwicklung beizutragen.
Spieler | Position | aktueller GI | PeakGI |
Artur Sobiech | ST | 97.3 | 101.4 |
Joselu | ST | 91.2 | 94.9 |
Kenan Karaman | ST | 90.6 | 112.4 |
Valmir Sulejmani | (H)ST | 78.5 | 120.0 |
[zur Einordnung: Der Joselu… Sollte mal schnellstmöglich anfangen, fleißig seiner Mannschaft zu helfen, sonst wird das mit einem hohen Goalimpact nix mehr. Zudem deuten die Werte darauf hin, dass Karaman und Sulejmani in etwa zwei Jahren richtig durchstarten könnten. Aber als warnendes Gegenbeispiel noch die Information, die diesen Zahlen nicht entnommen werden kann: Wo Sobiech heute sein könnte, wenn er nicht so oft von Verletzungen zurückgeworfen worden wäre… Sein PeakGI war mal deutlich höher.]
Aufstellungen: Wahrscheinliche, mögliche, eher unwahrscheinliche Modelle
Vor dem Hintergrund all der durchgespielten Stärken und Schwächen der Spieler des Kaders sollen an dieser Stelle ein paar denkbare oder weniger wahrscheinliche Varianten für die Aufstellungen dargestellt werden. Alles unter Vorbehalt und natürlich immer auch in Abhängigkeit vom Gegner. Und im Bewusstsein der Begrenztheit der eigenen Kompetenz…
Mögliche interessante Variante nach einiger Zeit des Trainierens, falls Gülselam dazu in der Lage ist. Statt Thesker in der IV dann Marcelo, je nach Rolle Bittencourts auch Albornoz als LV. Aber zu Saisonbeginn unwahrscheinlich.
Zweite, sehr unwahrscheinliche Variante mit Gülselam als alleinigem Sechser. Diesmal mit einer Raute. Diese sollte jedoch asymmetrisch angelegt werden: Stindl würde sich eher in den rechten defensiven Raum orientieren, Gülselam Albornoz‘ Offensivstreben balancieren, Prib situativ ins Zentrum ziehen. Die Asymmetrie hätte mehrere Vorteile: für den Gegner sind asymmetrische Formationen immer unangenehm, weil sie schwer zu fassen sind und 96 sich so leichter dem Zugriff entziehen könnte; außerdem würde die Asymmetrie unter anderem bezwecken, dass die vertikale Staffelung etwas besser ausgeprägt ist, was das Kombinationsspiel erleichtert. Aber wie gesagt eher unwahrscheinlich. Vor allem ist unwahrscheinlich, dass 96 mit 10 Mann spielt. Also noch Sobiech als zweiten Stürmer dazudenken… Es war spät.
Wohl wahrscheinlichste Variante für die Aufstellung, eventuell zu Saisonbeginn mit Pander für Albornoz (dann auch ohne den langen Orientierungspfeil).
So sähe die Aufstellung aus, wenn man rein nach dem Goalimpact ginge. Interessant: der teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte wäre nicht in der Startelf, Kiyotake gar nicht mal so deutlich vor Schlaudraff. Statt Thesker Marcelo (nach dem Update sicher und ziemlich deutlich).
Fazit
Die Leitmotive des Kaders der Saison 2014/2015 von Hannover 96 lauten „Entwicklungspotential“ und „Flexibilität“. Letztere gilt in doppelter Hinsicht. Vor allem in der Offensive haben Dirk Dufner und Tayfun Korkut einen Kader zusammengestellt, der nahezu ausschließlich aus Spielern besteht, die weder auf eine bestimmte Spielweise (platt ausgedrückt „Konter“ oder „Ballbesitzfußball“) noch auf eine bestimmte Position festgelegt sind. Das ist auch sehr passend, da somit Korkuts wenig konkret geäußerter Wunsch nach „flexiblem“ Fußball Kontur gewinnt. Der Plan scheint zu sein, was auch durch die noch nicht wirklich verlässlichen Eindrücke aus den Testspielen gestützt wird, dass sowohl die Art der Angriffe, wie auch die Besetzung der offensiven Räume variiert. Neben einem ruhigen, geordneten Spielaufbau, der vornehmlich über das Zentrum (bzw. die Halbräume) zu laufen scheint, sollen weiterhin schnelle, vertikale Angriffe zum Repertoire gehören. Im Kader befinden sich mit Edgar Prib, Leo Bittencourt und Leon Andreasen einige Spieler, die diese schnellen, direkten Versuche zum Torabschluss zu kommen beherrschen. Andererseits sind fast alle Offensivspieler dazu in der Lage, ein gepflegtes, wie auch immer im Detail geartetes Kurzpassspiel aufzuziehen. Wie genau dies angelegt sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu beurteilen. Das gleiche gilt für die Einbindung der Stürmer. Es bleibt weiter unklar, ob es gelingt, ihr eindeutig vorhandenes Potential und ihre verschieden ausgeprägten Stärken in ein funktionierendes Gebilde einzubinden. Die grundsätzliche Qualität der Stürmer könnte man auf Grundlage des Goalimpacts zudem in Frage stellen. Das gleiche gilt für Teile des Defensivbereichs. Durch die Verpflichtung von Ceyhun Gülselam ist 96 möglicherweise auch was die grundsätzliche Aufstellung betrifft etwas variabler geworden. Ob diese neue theoretische Vielfalt auch in der Praxis von Nutzen ist, kann aber zumindest für die erste Saisonphase eher ausgeschlossen werden. Ein weiteres Fragezeichen bleibt die Innenverteidigung. Während auf den Außenpositionen recht gut vorhersehbar ist, welche Art von Offensivbeteiligung zu erwarten ist, ist die Frage nach den Aufbaumechanismen über die Innenverteidigung noch etwas schwieriger zu beantworten. Ersten Aufschluss gaben unter Umständen einige vielversprechende Aktionen aus den Testspielen, bei denen durch schnelles Entgegenkommen der Offensivspieler nach vorherigem Abkippen eines Sechsers eine Anspielstation geschaffen wurde. In der Folge wurde der Ball schnell abgelegt und mit nur wenigen Kontakten recht viel Raum gewonnen. Auf diese Weise könnte zudem ein das Spiel von 96 prägender Mechanismus ersichtlich geworden sein: Schnelle und vertikale Angriffe aus einem ruhigen Spielaufbau durch schnell und vorübergehend gebildete, flexible und langgezogene Dreiecke: Ein Offensivspieler lässt sich schnell fallen, wird angespielt, gleichzeitig rückt ein tieferer Akteur (Sechser oder AV) auf, der zurückgefallene Spieler legt mit wenigen, eher einem Kontakt auf diesen durchstartenden Spieler ab. Inwiefern dies stabil auch unter größerem Gegnerdruck, der in der Bundesliga zu erwarten ist, ausgespielt werden kann, bleibt abzuwarten.
Was den Kader als Ganzes anbetrifft wurde oft die Befürchtung geäußert, 96 habe Qualität abgegeben und nur Talent dazubekommen. Das stimmt zwar im Ansatz, ist aber in der Pauschalität nicht zu halten. Stattdessen wurden eher Spieler mit großer Qualität in wenigen Bereichen durch Spieler mit verschiedenen Qualitäten in verschiedenen Aspekten ersetzt. Der Eindruck, 96 sei nach diesem Kaderumbau in der Spitze weniger gut besetzt, als im Vorjahr, könnte richtig sein. Dennoch ist die wohl erhoffte größte Qualität dieses Kaders seine systematische und personelle Flexibilität. Wird diese effektiv umgesetzt, könnte es eine einigermaßen stabile, aber trotzdem abwechslungsreiche Saison für Hannover 96 werden.
Wird 96 die kommende Saison besser abschließen als die vorige? Keine Ahnung. Solche langfristigen Prognosen sind höchst unprofessionell, alleine schon da nicht nur einzelne Spiele, sondern auch ganze Saisonphasen einer gewissen Eigendynamik unterworfen sein können. Doch zumindest die Hoffnung ist nicht unberechtigt, dass Tayfun Korkut und sein Trainerteam dabei sind, eine nicht mehr so leicht ausrechenbare und aktivere Mannschaft auf den Platz zu bringen, die einigermaßen variabel auf unterschiedliche Gegner reagieren kann. So könnte man beispielsweise annehmen, dass es 96 leichter fallen könnte, gegen Mannschaften aus den unteren Tabellenregionen Punkte einzufahren. Muss aber nicht.
Wenn es allerdings gelingt, saubere und durchschlagskräftige Mechanismen in die sehr junge und teilweise schwer einzuschätzende Mannschaft zu bringen, ohne gleichzeitig defensive Stabilität einzubüßen (was wohl der größere der vorhandenen Zweifel sein dürfte), ist ein einstelliger Tabellenplatz knapp unterhalb der Europa-League-Ränge sehr gut möglich.
Leave a Comment