Hoffenheim – 96 4:3

Hannover spielt teilweise fantastischen Angriffsfußball, Hoffenheim wirft wie immer den Turbo an. Auf beiden Seiten rücken alle möglichen Sechser ständig mit auf, auf beiden Seiten haut man den Ball einfach mal lang nach vorne und guckt dann, wer jetzt wann umschalten darf. Schmiedebach probiert mal aus, wie es sich anfühlt, ein schlechtes Spiel zu machen, Gülselam dribbelt mehrmals mehrere Hoffenheimer aus und Stindl glaubt Korkut einfach, dass er ein torgefährlicher Spieler ist. Bei 96 kann nicht mal Gülselam für eine ausreichende Absicherung sorgen und Hoffenheim denkt sich, dass ein Zwei-Tore-Vorsprung überbewertet wird. Ein WM-Schiedsrichter hat keine Lust auf eine nachvollziehbare oder auch nur irgendwie vorhandene Linie (und bereitet indirekt das 1:0 für Hoffenheim vor) und am Ende fallen sieben Tore, die aber auch noch nicht ausreichen, um das Spiel angemessen ins Lächerliche zu ziehen. Das Ganze nennt sich dann Topspiel des 13. Spieltags.

Nach der nicht unerwarteten Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen bot sich Hannover 96 im Samstagabend-Spiel des 13. Spieltags die Möglichkeit, beim Auswärtsspiel in Hoffenheim den Anschluss an die obere Tabellenregion  zu halten.

Die Mannschaft von Markus Gisdol erlebte in den letzten Wochen nach einem sehr guten Saisonstart einen leichten Rückfall und verlor – wenn auch gegen gute Gegner – die sehr Hoffenheim-untypische defensive Stabilität. In der Offensive verfügen die Kraichgauer nach wie vor über enorme spielerische Qualität, sodass der Weg zu einem oder drei Auswärtspunkten für Tayfun Korkuts Mannschaft erneut nur über gut abgesicherte Angriffe und eine mannschaftlich geschlossene, disziplinierte Defensivleistung führen konnte. Beziehungsweise: dachte man vor dem Spiel…

Verrücktes Zeug… Lauter aufrückende Sechser (teilweise sogar Gülselam! Aber der kann ja bekanntlich eh nix…) und viel Tempo. Unschön teilweise. Eigentlich müsste man noch mehr Grafiken für verschiedene Spielphasen machen, aber da hat man nach so einem Spiel keine Lust mehr drauf.

Die erste Halbzeit

Von Beginn an wurde der Zuschauer von einer sehr überraschenden Strategie von 96 beglückt, die durch phasenweise sehr hohes Stören und weites Aufrücken sowie sehr hohes Verteidigen gekennzeichnet war. Beschränkte sich diese Phase des hohen Pressings in bisherigen 96-Spielen auf die Anfangsviertelstunde, verfolgte die Mannschaft von Tayfun Korkut diesen Plan gegen die Hoffenheimer dieses Mal mit einigen Variationen über einen deutlich längeren Zeitraum. Das Ziel dieser Herangehensweise war jedoch immer gleich: Durch das eigene frühe Stören und das weite Aufrücken drängte Hannover die Mannschaft von Markus Gisdol immer weiter zurück, zwang sie zu vielen langen Bällen und ließ sich auf einen offenen Kampf um die für das Umschalten sehr wichtigen zweiten Bälle ein. Phasenweise ging dieser Plan tatsächlich auf, seine Risiken mit den großen bespielbaren Räumen zum Kontern wurden jedoch auch immer wieder offensichtlich, wenngleich Hoffenheim diese nicht immer zu nutzen wusste.

Gegen den Ball agierte 96 wie üblich im 4-4-2/4-4-1-1 mit Lars Stindl neben oder leicht versetzt hinter Joselu, positionierte sich dabei aber wie gesagt recht hoch. Hoffenheim reagierte darauf mit sich eng beieinander bewegenden Sechsern im Spielaufbau und nicht allzu riskant aufrückenden Außenverteidigern, griff aber trotzdem nur selten auf den flachen Spielaufbau zurück. Oft verfielen sie auf früh gespielte lange Bälle, die sie durch eine hohe Präsenz in der vordersten Reihe und die beiden (!) dynamisch und intelligent (Schwegler) bzw. dynamisch und robust (Polanski) nachstoßenden Sechser mit dem Augenmerk auf den zweiten Ball zu nutzen versuchten. Vor allem immer wieder spontan entstandene Lücken auf dem linken Flügel fokussierten sie beim Umschalten durch den ausweichenden Firmino, den sehr offensiv drängenden Kim und den immer wieder zuarbeitenden Zuber. War Hoffenheim erst einmal im zweiten Drittel angekommen bestachen sie mit einigen dynamischen Läufen aus der Tiefe bzw. diagonalen Sprints von den Flügeln und zeigten ihr bekanntes extrem temporeiches Passspiel und sehr schnelle, direkte Aktionen. Dabei besaßen sie in den allermeisten Fällen eine 4-2-3-1-Rollenverteilung im Ballbesitz, waren aber situativ unterschiedlich gestaffelt. In Erwartung der längen Bälle oder auch bei den Ansätzen des flachen Spielaufbaus über die Halbräume griffen sie dabei vor allem auf 4-1-1-4-Anordnungen zurück, aus denen lediglich Volland und Firmino im Ansatz ballfordernde Laufwege zeigten. Oft agierte Volland in Kombinationen auch etwas zurückfallend und vor allem breitengebend, sodass insgesamt einige Optionen für den ballführenden Hoffenheimer bestanden, um mit hohem Tempo die Angriffe vorzuführen.

96 trat im Ballbesitz in der ersten Halbzeit mit Licht und Schatten auf. Vor allem zu Beginn der Partie gab es einige gute Überladungen auf rechts mit einem etwas tieferem und weit einrückendem Kiyotake, dem gewohnt diagonal nachrückenden Schmiedebach und einem sehr beweglichen Stindl zu sehen. Dabei nutzte 96 die so geschaffenen geringen Abstände und die gute vertikale Raumaufteilung im Halbraum zu einigen guten und schnellen Kombinationen. Im letzten Drittel orientierte sich Stindl immer wieder dynamisch ins Zentrum, nachdem Joselu zuvor mit recht flexiblem und gut abgestimmtem Ausweichen den Platz geöffnet hatte. In diesen Situationen bestanden auch ordentliche Staffelungen für die Absicherung eventueller Ballverluste, sodass 96 in den Kompaktheiten seine besten Ursprünge und Produktivität fand. Eine eigentlich nicht gerade bahnbrechende Erkenntnis. Aber die tiefschwarze Seite des 96-Spiels im ersten Durchgang bestand aus Phasen, in denen sich 96 im Ballbesitzspiel viel zu offen staffelte und so alle Vorzüge der besseren Verbindung der einzelnen Akteure zunichte machte. Die Abstände zwischen den Linien (bzw. zwischen den Mannschaftsteilen) waren vor allem horizontal zu groß, zogen so die Passwege in die Länge und erhöhten das Hoffenheimer Zugriffspotential. Die Heimmannschaft hatte in diesen Phasen nicht nur relativ einfache Ballgewinne zu verzeichnen, sondern fand auch viel Zeit und Platz im Umschalten vor. Ein Fehler, den man wenn es sein muss gegen viele Mannschaften in der Liga machen darf, aber nicht gegen Hoffenheim. Vor allem wurden diese Probleme in der gegenseitigen Anbindung im Kombinationsspiel durch einen zu hohen Briand, einen zu zentralen Joselu, einen nicht weit genug eingerückten Kiyotake und vor allem ein sehr schlechtes Absichern hervorgerufen: Schmiedebach, Sakai und teilweise sogar ein Innenverteidiger stießen fast schon mit dem Ballgewinn durch 96 sehr schnell und direkt in die Tiefe nach, diese Läufe waren aber sehr schlecht balanciert und fast kopflos. So konnte Hoffenheim nach den wie gesagt teilweise einfachen Ballgewinnen die recht großen Lücken und die offene Staffelung Hannovers im Umschalten sehr leicht und vor allem schnell bespielen und nutzte wie oben erwähnt gedankenschnell vor allem die Räume zwischen Sakai und Marcelo bzw. generell im rechten Halbraum. Es gab auf diese Weise einige gefährliche Ansätze durch die TSG im Umschalten, sodass auch folgerichtig das zweite Tor so entstand.

Hoffenheim trat gegen den Ball meistens im 4-4-2 mit horizontal engen, vertikal hin und wieder versetzten Stürmern auf und störte in der Regel etwas tiefer als Hannover auf der anderen Seite. Das Ziel dabei bestand darin, den Spielaufbau von 96 auf außen zu lenken (trotzdem bespielte 96 einige Male unnötig den Sechserraum und verlor dort den Ball oder stand zumindest kurz davor), und dort im Mittelfeld pressen. Vor allem auf der rechten Hannoverschen Seite suchten sie frühen Zugriff und setzten dort bereits Marcelo unter Druck, der dann oft zu langen Bällen gezwungen wurde, die 96 wegen der erwähnt zu großen Abstände gelegentlich nicht sicher konnte. Hoffenheim schaltete dann um und fuhr daher den Großteil seiner Angriffe über eben diese eigene linke Seite. Phasenweise gab es auch ein höheres Pressen durch Hoffenheim zu sehen, dabei traten sie im 4-2-4 (aber nicht so extrem wie Leverkusen) oder öfter in asymmetrischen 4-3-3-Staffelungen mit einem etwas tieferen Zuber und dem aufschiebenden Firmino auf. Aber 96 kam in der Regel ohnehin nur über linearen Flügelspiel im Aufbau oder lange Bälle zu produktivem Raumgewinn, sodass der Unterschied effektiv geringer war.

Insgesamt bot sich in der ersten Halbzeit ein schwierig zu fassendes Spiel mit sehr hohem Tempo, vielen merkwürdigen Fehlern oder Merkwürdigkeiten (Gülselam teilweise deutlich höher als Schmiedebach, sowohl im Ballbesitz als auch defensiv?!) auf beiden Seiten und einer überraschenden, mutigen Ausrichtung von 96 gegen den Ball. Im eigenen Offensivspiel zeigte 96 einige sehr schöne Ansätze und war in diesem Punkt klar besser als Hoffenheim, brachte sich mit grundlegenden Fehlern andererseits jedoch selber in Bedrängnis und ein wenig um den Lohn. Die Hoffenheimer zeigten ihre bekannten Stärken und Schwächen oft, waren aber nicht immer mit der gewünschten Durchschlagskraft gesegnet, verwerteten ihre Möglichkeiten aber effektiv. Mit einem 2:1 für die Gastgeber ging es folglich in die Kabine.

Die zweite Halbzeit

In der Halbzeitpause nahm Tayfun Korkut eine sehr sinnvolle Umstellung vor. Albornoz rückte von links nach rechts in der Viererkette, Prib ersetzte Sakai und ging nach links (Sakai zuvor nicht nur mit unbedachtem Aufrücken, sondern auch mit individuellen Fehlern). Die positive Folge dieser Umstellung bestand darin, dass Briand zentraler positioniert war (bzw. nicht so weit in Richtung Außenlinie rutschte) und daher die Wege für Albornoz öffnete (müsste man eigentlich anders formulieren: Albornoz‘ Wege drückten Briand mehr nach innen). Kiyotake ging in einigen Situationen nicht mehr so extrem in das Zentrum, weil Pribs Aufrücken dosierter und etwas stabiler war, sodass das 96-Spiel insgesamt etwas besser verteilt war.

Zunächst trat 96 wieder mit deutlich besseren Abständen im Ballbesitz auf, die bereits im ersten Durchgang gesehenen Überladungen vor allem des rechten Halbraums werden in hohem Tempo und direkt durchkombiniert, sodass auch die Entstehung des sehr ansehnlichen Ausgleichstores nach einem Ballgewinn im Mittelfeld diesem Muster folgte.

Kurzzeitig war auch eine etwas bessere Absicherung der eigenen Angriffe gegeben, da Gülselam ein wenig tiefer agierte und mehr Kontakt zur Abwehr hielt. Zudem war das Aufrücken von Schmiedebach und vor allem Albornoz dosierter, aber effizienter als noch in der ersten Halbzeit von Schmiedebach und Sakai. Dann folgten jedoch auch wieder Phasen viel zu unkompakter Ordnung (logisch wenn man vorne präsent sein will, da die Abwehr ja nicht viel weiter als bis zur Mittellinie aufrücken kann, davor waren dann nur noch Gülselam und zu viele Optionen für Hoffenheim) wie vor dem unnötigen 3:2. Nach einem Ballverlust in der gegnerischen Hälfte kam Manuel Schmiedebach zu spät aus seiner zu hohen Position, Gülselam hatte den Hoffenheimer noch ausbremsen können, den bereits abgewehrten Ball  nutzte Polanski dennoch mit einem eher glücklichen Distanzschuss zur Führung. Kurz darauf fiel das 4:2 nach einem relativ ungefährlichen Freistoß. In der Folge zog sich Hoffenheim etwa 10 Meter tiefer zurück, die Stürmer fächerten sich gegen den Ball etwas breiter auf. 96 hatte so im Spielaufbau etwas mehr Zeit und entfaltete jetzt sogar aus dem Spielaufbau heraus in einzelnen Szenen gute Spielzüge und steckte nicht auf. Hoffenheim stellte noch mehrmals um, ich habe aber keine Ahnung, was das sein sollte. Vielleicht eine Raute.

Mit der Einwechslung Sobiechs trat 96 in verschiedenen Staffelungen auf, die vielleicht als 4-1-3-2 (keine Raute) oder 4-3-3 (eher 4-1-0-4-1) zu bezeichnen sind, stand hoch und störte früh und setzte auf die Chance auf den Anschlusstreffer. Sobiech passte gut zu der Rechtslastigkeit im 96-Spiel und war so auch maßgeblich am 4:3 beteiligt, das er nach einem kapitalen Aussetzer von Hoffenheim-Schlussmann Baumann mit einem sehr starken Querpass einleitete. Danach drängte 96 noch mehr und angesichts der Umstände erfreulich geduldig, Hoffenheim hatte kaum noch entlastende Angriffe, aber 96 nutzte die immer noch guten Ansätze nicht zum Ausgleich.

Fazit

Ein grausames Spiel. Aber sehr ansehnlich. Rein rechnerisch ist das Ergebnis nach 16:13 Torschüssen sogar fast folgerichtig, 96 trat im Ballbesitz und vor allem im Angriffsspiel jedoch stark verbessert zu den letzten Monaten auf und hätte daher und auf Grund der sehr mutigen Strategie eigentlich mehr verdient gehabt. Einerseits. Andererseits schuf 96 die Probleme, die die Hoffenheimer zu ihren aus dem Spiel heraus gefallenen Toren (also zwei) nutzte, auch selber und nach dem immer wieder gleichen Muster. Die zuletzt hervorragende Absicherung der eigenen Angriffe und die gesamte Defensivstabilität waren in Teilen des heutigen Spiels nicht im Ansatz gegeben, sodass weite Teile der 96-Anhängerschaft einem schmerzhaften Anschauungsbeispiel gegenüberstehen: Manchmal ist ein bisschen Angsthasenfußball vielleicht doch keine so schlechte Idee.

Spieler des Spiels: Lars Stindl – fast wie Lars Stindl

Lars Stindl war beinahe wieder der Lars Stindl, der im vorentscheidenden Spiel gegen den Abstieg in der letzten Saison den Hamburger SV nahezu alleine zerstörte. Was jedoch zu seiner enorm wichtigen und zentralen Rolle aus der Vorbereitung fehlte, sind die ballfordernden Elemente im Spielaufbau, mit denen die kreativen Probleme im Sechserraum verdeckt werden sollen. Es blieb jedoch auch heute festzuhalten, dass ohne Stindl das Hannoversche Angriffsspiel ein anderes ist. Er war horizontal enorm beweglich, in viele Kombinationen eingebunden und besetzte im sehr harmonischen Zusammenspiel mit Joselu immer wieder dynamisch die Spitze (wie vor seinen beiden Toren). So war er an nahezu jeder gefährlichen Aktion Hannovers beteiligt und zeigte auch bei Hoffenheimer Ballbesitz seine Pressingintelligenz (wann wie anlaufen und so weiter). Jetzt noch die Läufe im Spielaufbau, was auch Hiroshi Kiyotake eine noch bessere Einbindung gewähren könnte (obwohl die heute schon wieder sehr gut war – so viel zum Thema „Korkut du Null, der ist doch auf links verschenkt“) und der alte Lars Stindl könnte dazu beitragen, dass Hannover 96 einen in vielen Belangen ziemlich ansehnlichen und auch stabilen Fußball zeigt.

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