Im zweiten Teil unserer Rückschau auf die Saison 2014/2015 jonglieren wir mit ein paar Zahlen und Fakten. Mit Hilfe verschiedener Prozente, Kilometer und Kurven wollen wir den Saisonverlauf von Hannover 96 nachvollziehen und in eher groben Zügen einige verschiedene taktische Phasen hervorheben. Nachdem wir in der Winterpause schon indirekt ein kleines Fazit der Hinrunde veröffentlicht haben, steht in dieser Bilanz die Rückrunde etwas stärker im Vordergrund. Leider, denn unsere knallharte Recherche hat ergeben, dass die Hinrunde mit ungefähr genauso vielen Spielen in die Tabelle einfließt. Wir bemühen uns daher trotz des Fokus auf die letzten 17 Spiele um eine möglichst ausgewogene Bewertung der gesamten Saison. Ein paar Probleme und ein paar unangenehme Erkenntnisse kommen allerdings verstärkt in den Blickpunkt – die Rückrunde bot in der Hinsicht einiges an. Auch die spielerischen Auswirkungen des Trainerwechsels kommen im Folgenden verstärkt zur Sprache.
Saisonverlauf
Beim Blick auf die nackten Ergebnisse bleibt von dieser Saison nicht nur ein ambivalentes Bild, sondern vor allem der Eindruck von absurder Inkonstanz – in der Hinrunde war 96 inkonstant und erfolgreich, in der Rückrunde konstant unerfolgreich. Nach dem sehr guten Saisonstart durchlebte die damals noch von Tayfun Korkut geleitete Mannschaft eine erste Schwächephase, in der auch von Verletzungssorgen geplagt drei Niederlagen in Folge zu Buche standen. Mit dem überraschenden Auswärtssieg gegen Dortmund und zwei weiteren siegreichen Auftritten konnte sich 96 nach dem Sieg in Berlin sogar bis auf den vierten Platz der Tabelle vorarbeiten und zudem den absoluten Schlüsselspieler Lars Stindl zurückbegrüßen. Der unangenehme Spielplan mit drei aufeinander folgenden Partien gegen sehr offensivstarke und individuell hervorragend besetzte Gegner trug trotz guter, etwas unausgewogener Vorstellungen zu einer weiteren Delle bei. Schließlich wurden die letzten drei Spiele vor der Winterpause ungeschlagen über die Bühne gebracht – drei Siege wären angesichts der Gegner und der Spielverläufe für die nach Stindls Rückkehr immer aktivere, dominantere und gefährlichere 96-Elf durchaus im Bereich des Möglichen gewesen. Nach der sehr guten Wintervorbereitung folgte mit der etwas unglücklichen Auftaktniederlage auf Schalke ein erster Ergebnis-Dämpfer. Die Leistung blieb auch in den folgenden Begegnungen mitunter sehr ansprechend – mehr als ein Zähler sprang dabei aber nicht heraus. 96 durchlebte das volle Programm einer sich anbahnenden Negativspirale, wie man sie immer wieder zu sehen bekommt: Die Mannschaft spielte phasenweise sehr gut, phasenweise ordentlich, phasenweise schlecht und teilweise auch über weite Strecken der Partien gut, ordentlich oder schlecht; Korkut stellte „das System“ um, mal während des Spiels, mal über längere Zeit; Korkut richtete sich strategisch und taktisch mal mehr und mal weniger am Gegner aus; Korkut rotierte bei der Aufstellung, Korkut traf Härtefallentscheidungen bei der Kaderbesetzung – es nutzte alles nichts, 96 gewann einfach kein Spiel mehr. Die Roten fanden keinen Ausweg aus dem Abwärtstrend, bei dem am Ende fünf Unentschieden ebenso vielen Niederlagen gegenüberstanden. Nach der sechsen Niederlage der Rückrunde dank eines sehr schwachen Auftritts in Leverkusen „griffen die Mechanismen des Geschäfts“, „wurde die letzte Patrone verschossen“, „konnten die Verantwortlichen die Augen nicht mehr vor der Realität verschließen“. Tayfun Korkut musste seinen Platz räumen, Michael Frontzeck übernahm die Mannschaft fünf Spieltage vor Schluss. Doch schockierenderweise brachte auch die Änderung um der Änderung willen nicht den erhofften sofortigen Umschwung – mit einer Heimniederlage gegen Hoffenheim, die mit identischem Spielverlauf und besserem Fußball auch unter Frontzecks Vorgänger sehr gut vorstellbar gewesen wäre, feierte der neue 96-Cheftrainer seinen Einstand. Als es im folgenden Spiel in Wolfsburg zur Halbzeit 0:2 stand, war Schlimmes zu befürchten. Doch die Umstellung von Manuel Schmiedebach von der rechten Abwehr ins Mittelfeldzentrum, mit Jimmy Briand ein für die Spielweise passenderer Stürmer und eine viel intensivere Arbeit gegen den Ball führten noch zum Ausgleich. In der Nachspielzeit vergab Edgar Prib sogar die Chance auf den Auswärtssieg, sodass 96 den erhofften Umschwung erneut verpasste und nach dem weiteren Remis gegen Bremen auf einem Abstiegsplatz rangierte. Doch mit zwei sehr glücklichen Siegen – beides, Glück und einen Sieg, hatte es in den 15 Spielen zuvor nicht gegeben – rettete sich Hannover 96 in einem dramatischen Schlussspurt noch auf den 13. Tabellenplatz. So kamen die Roten nach einer nie unproblematischen, anstrengenden, aber insgesamt sehr erfolgreichen Hinrunde sowie einer nie unproblematischen, sehr anstrengenden und extrem unerfolgreichen Rückrunde mit einem dicken blauen Auge davon und dürfen sich nächste Saison erneut in der ersten Bundesliga messen – mit „Retter“ Michael Frontzeck als Chefcoach.
Die Spielweise
Der Ballbesitz und seine Bedeutung entwickelten sich im Laufe der Saison immer mehr zum großen Zankapfel im Zusammenhang mit Hannover 96. Einerseits wurde „sinnloses Ballgeschiebe ohne Effekt“ und „eine billige Kopie des FC Barcelona“ beklagt, andererseits wurde der angebliche kollektive Rückzug nach Führungstoren kritisiert – schließlich dürfe man sich über Gegentore nicht wundern, wenn man dem Gegner Ball und Spiel überließe. Hier ist der Ball eklig und unnötig, dort ist er ganz wichtig und gefährlich… Aber wir schweifen ab.
Ballbesitz
Nachdem mit Lars Stindl ein zentraler Akteur in Korkuts Planungen im DFB-Pokal in den Krankenstand getreten wurde, musste der 96-Coach von einem Großteil der einstudierten Mechanismen im Spielaufbau und Angriffsspiel kurzfristig abrücken. In den ersten Saisonspielen agierten die Roten dementsprechend anders als noch in Ansätzen der Vorbereitungsspiele und waren stärker auf schnelle Angriffe aus einer kompakten Defensive ausgerichtet. An diesem umschaltlastigen Ansatz wurde in den folgenden Spielen jedoch durch kleinere Elemente im Angriff gearbeitet. Mit einzelnen Überladungen oder leicht veränderten Staffelungen auf zweite Bälle wurde 96 im Laufe der Vorrunde im Angriffsspiel stückweise etwas eigenständiger und aktiver. Die von Korkut angestrebte Entwicklung hin zu einer dominanten Mannschaft, die mit dem Ball mehr anzufangen weiß als noch vor seiner Amtsübernahme, nahm dann mit der Genesung von Lars Stindl an Fahrt auf. In der Folge wurden die zuvor eingebauten Aspekte im Angriff beibehalten und leicht modifiziert. Im Spielaufbau wurde das konstruktive und flache Passspiel zudem immer bewusster forciert und Stindl half beim Übergang von der Abwehr in den Angriff. So kam 96 gegen Ende der Hinrunde zu einem immer dominanteren Auftreten, konnte den Ball über immer weitere Phasen stabil im Mittelfeld zirkulieren lassen und reduzierte die Anzahl langer Bälle im Spielaufbau. Mit einem auf das Zentrum ausgerichteten Bewegungs- und Positionsspiel erarbeitete sich 96 für Hannover-Verhältnisse untypisch oft ein Übergewicht im Mittelfeld und machte sich in dieser Phase zunehmend daran, als eine der wenigen Mannschaften in der Bundesliga vom strategischen Durchschnitt abzuweichen.
Diese Tendenz wurde in der Wintervorbereitung weiter voran getrieben. In der Rückrunde war 96 im Spielaufbau noch geduldiger und ruhiger, was allerdings auch auf eine taktikpsychologische Wechselwirkung zurückzuführen ist: Im Bewusstsein des neuen Hannoverschen Willens das Spiel zu machen, gaben sich einige Gegner diesem Dominanzanspruch hin und ließen 96 etwas mehr in Ruhe. An der grundsätzlich weiterhin kontinuierlich steigenden Stabilität im Passspiel und dem noch weiter ausgebauten Übergewicht im Mittelfeld änderte dies allerdings nicht viel. Dennoch gab es ein paar Rückfälle, wenn Hannover phasenweise fahrig und zu langsam im Ballbesitz auftrat und sich von den Gegnern etwas zu sehr ausbremsen ließ. Als Reaktion darauf und auf die nicht enden wollende Negativspirale erfolgte die Formations-Umstellung auf eine Mischform aus 4-1-4-1 und 4-4-1-1. Während mit dieser Änderung ein paar kritische Punkte im Angriffsspiel behoben und ein paar neue Schwachstellen im Spiel gegen den Ball sowie im Übergang vom zweiten ins dritte Drittel erschaffen wurden, blieben die Auswirkungen auf den Ballbesitzanteil eher gering. Auch an der überwiegend dominanten Spielgestaltung änderte sich nach der Systemumstellung wenig. Der eindeutige Trend hin zu immer mehr Anteil am Spiel und immer mehr Gestaltungswille wurde mit der Entlassung Tayfun Korkuts gebrochen. Unter Michael Frontzecks Regie verzichtete Hannover 96 mit Ausnahme des Spiels gegen ultimativ schwache Bremer konsequent auf den Besitz des Spielgeräts und passte sich wieder dem gewohnten Bild von Bundesliga-Fußball an: Aus einer kompakten Defensivordnung heraus sollte nach Ballgewinn möglichst schnell umgeschaltet werden, garniert mit langen Bällen im Spielaufbau und umkämpften Mittelfeldduellen um zweite Bälle. Statistisch wirkte sich dies prompt in einem rapiden Abfall des Ballbesitzanteils aus. Dementsprechend wies 96 zwischenzeitlich sogar die geringste Ballbesitzquote aller Mannschaften der Liga auf.
Fußball und so
Eine nahezu deckungsgleiche Entwicklung ist wenig überraschend auch im viel wichtigeren und interessanteren Aspekt des Passspiels festzustellen. In der eher auf Umschalten ausgerichteten Spielweise mit dementsprechend weniger Ballbesitz zu Saisonbeginn wurden auf Seiten Hannovers nicht allzu viele Pässe gespielt. Die angesprochenen schrittweise eingeführten Anpassungen im Angriff in Form von Überladungen sorgten vereinzelt zu einer steigenden Anzahl gespielter Pässe. Spätestens mit der Rückkehr Stindls, den nun zentrumsfokussierteren Angriffen und den sichereren Mechanismen im flachen Spielaufbau schnellte analog zum dominanten Ballbesitzanteil natürlich auch die Pass-Statistik in die Höhe. Je mehr Zuspiele innerhalb von 90 Minuten zu beobachten sind, desto unwahrscheinlicher ist das Auftreten vieler langer Bälle. Dementsprechend ist am Verlauf der vielleicht wichtigsten fußballerischen Richtlinie (natürlich nur bei entsprechender strategischer Ausrichtung) auch sehr gut nachzuvollziehen, welche Entwicklung der Fußball von Hannover 96 in dieser Saison genommen hat: Die zunächst umschaltlastigere und im Übergang in den Angriff schnellere Spielweise zu Saisonbeginn produzierte noch nicht so viele Pässe wie später das dominante Kombinationsspiel. Auch die Passquote kann diesen Verlauf recht gut nachzeichnen, wenn sie auch etwas stärker von den spezifischen Herausforderungen der jeweiligen Gegner abhängt. Nach einem in dieser Hinsicht ebenfalls etwas inkonstanten Start in die Saison stieg aber auch dieser Kennwert spätestens mit Stindls Rückkehr kontinuierlich an und stabilisierte sich auf einem hohen, aber weiterhin ausbaufähigen Niveau. In der Konsequenz bedeutet dies, dass nach der Hinrundenpartie gegen die wild pressenden Rudelfußballer aus Leverkusen kein einziges Spiel mehr zu Buche steht, bei dem 96 unter Korkut eine Passquote von weniger als 70% aufwies – das Rückspiel gegen die taktisch außergewöhnlichen Leverkusener ausgenommen, gegen die lange Bälle im Spielaufbau ein bewusst gewähltes Mittel vieler Mannschaften wurden und bei deren Beteiligung wegen ihres hochintensiven Störens regelmäßig sehr niedrige Passquoten zu beobachten sind. Gegen „normale“ Mannschaften (Bayern München ebenfalls ignoriert) erreichte 96 immer eine akzeptable Quote an gelungenen Zuspielen. Die Reduzierung langer Bälle, die stabile Ballzirkulation im Spielaufbau und Mittelfeld sowie die kombinatorische Spielweise ließen sowohl die Anzahl der Pässe, als auch ihr prozentuales Gelingen ansteigen. Dass sich ein Großteil der gelungenen Aktionen am Ball auf das eigene Drittel und das Mittelfeld beschränkt, wurde oft kritisiert, ist aber im Fußball bei quasi allen Mannschaften die Regel.
Auch in diesem Bereich des Spiels zeigte der Trainerwechsel natürlich seine Wirkung. Als Folge der strategischen Umorientierung unter Michael Frontzeck sanken neben dem Ballbesitzanteil auch die Werte im Bereich des Passspiels. Ein nahezu dramatischer Einbruch im Hinblick auf die Anzahl gespielter Pässe war ebenso ein Abbild der geänderten Herangehensweise wie die stark gesunkene Passquote. Diese statistische Abweichung von den Werten der Korkut-Amtszeit ist wenig überraschend, wenn man sich den taktischen und spielerischen Ansatz der letzten fünf Begegnungen vor Augen führt: 96 wollte den Ball nun nicht mehr unbedingt selber haben, sondern stattdessen nach Balleroberungen möglichst schnell zum Tor kommen. Aus dem eigenen Spielaufbau heraus sollte es vornehmlich schnell und direkt in die Spitze oder zu Lars Stindl gehen, sofern sich der Kapitän nicht bereits in vorderster Front aufhielt. Der subjektive Eindruck, dass insbesondere im Spielaufbau immer öfter zu langen Bällen gegriffen wurde, schlägt sich natürlich auch statistisch nieder: sowohl die Passquote, als auch die Anzahl gespielter Bälle sinken, während/weil sich der Anteil langer Bälle im Spiel von 96 nach dem Trainerwechsel auf 22 % erhöhte (zuvor lag er bei knapp 16%).
Angreifen
Am Ende der Saison muss man trotz der dargestellten Entwicklung des 96-Spiels, ob man sie begrüßt oder nicht, festhalten, dass die Spielzeit nicht wirklich erfolgreich absolviert wurde. Auch an der eingangs gezeigten Grafik des Saisonverlaufs kann man erkennen, dass 96 keine hohen Siege einfahren konnte. Insgesamt schoss 96 zu wenige Tore, oft kreierten die Roten nicht genügend Torchancen. Im ligaweiten Vergleich rangieren die Roten in Sachen erspielter Torabschlüsse auf einem der hinteren Ränge.
Wie bereits in zahlreichen Analysen moniert, drückte besonders in der Hinrunde der Schuh in Sachen „mangelnde Durchschlagskraft“. Es gelang 96 zu Beginn der Saison nicht, konstant in die torgefährlichen Bereiche vorzudringen und aus aussichtsreicher Position zum Abschluss zu kommen. Dabei machte sich vor allem das Problem bemerkbar, dass das Ausweichen Joselus zum Unterstützen der Kombinationen im Mittelfeld nicht gut durch die Mitspieler kompensiert wurde. Doch auch in dieser Hinsicht ist eine positive Tendenz festzustellen: die neu eingeführten Elemente im Angriffsspiel führten langsam zu gestiegener Torgefahr, was endgültig mit der Startelfrückkehr Lars Stindls gefestigt wurde. Bis zum Ende der Hinserie erspielte sich 96 vor allem mit druckvollen Kombinationen durch das Zentrum eine zufriedenstellende Anzahl an Torschüssen aus dem Strafraum heraus. Lediglich die mangelnde Balance im gesamten Spiel und teilweise auch die mangelhafte Chancenverwertung führten dazu, dass in dieser sehr offensivstarken Phase der 96-Saison nicht mehr Punkte heraussprangen.
In der Rückrunde setzte sich die gute Entwicklung der Offensive prinzipiell fort und 96 kam insgesamt zu vielen Torschüssen im Strafraum, zeigte sich nun aber sehr wechselhaft im Erzeugen von Schusschancen. An dieser Stelle ist bereits eine wesentliche Ursache des Niedergangs nach der Winterpause zu sehen: Mal erspielte sich die Mannschaft sehr viele Chancen aus theoretisch guter Position, mal sehr wenige. An sich ist eine etwas labile Durchschlagskraft bei einer Mannschaft, die den strategischen Wandel vom Konterteam hin zu einer aktiveren und dominanteren Mannschaft vollzieht, weder besorgniserregend oder ein Anzeichen tiefgreifender struktureller Probleme. Natürlich sollte eine solche Inkonstanz nicht vorkommen, ist aber unter den beschriebenen Umständen kein ganz außergewöhnliches Phänomen. Problematisch wird es allerdings wie im Fall von 96 dann, wenn aus den guten Offensivauftritten mit vielen Chancen keine Punkte resultieren, die die schwächeren Leistungen gewissermaßen „auffangen“. An der gezeigten Grafik kann dies sehr schön verdeutlicht werden: Aus den markierten Spielen gegen Hamburg, Stuttgart und Frankfurt nahm 96 stolze zwei Punkte mit und erzielte nur vier Tore – bei 39 Torschüssen im gegnerischen Strafraum. Wenn die nicht wirklich ungewöhnlichen Probleme in der Offensive in einigen Partien nicht mit Siegen aus den Spielen, in denen ohne Zweifel die Möglichkeit dazu bestand, ausgeglichen werden können, hat man ein großes Problem. In diesem Fall eindrucksvoll demonstriert von Hannover 96. Die Gründe für die mangelhafte Torausbeute mit Gewissheit zu benennen ist allerdings an dieser Stelle nicht möglich. Man müsste wohl jeden einzelnen Torschuss gesondert betrachten, um eventuell ein Muster erkennen zu können – wahrscheinlich gibt es nicht mal die eine klar erkennbare Ursache für die mangelhafte Torausbeute. Hin und wieder wäre vielleicht ein zusätzlicher Pass im Strafraum besser gewesen. Trotz aussichtsreicher Schussposition noch einmal einen Mitspieler zu bedienen, wirkt sich erwiesenermaßen stark positiv auf die Trefferwahrscheinlichkeit aus. Zudem war 96 in dieser Disziplin im ligaweiten Vergleich sehr erfolgreich (Joselu, Briand und Stindl sei Dank) und hätte es somit womöglich noch öfter versuchen sollen:
Hin und wieder ist zudem die Chancenqualität, also die Wahrscheinlichkeit des Torerfolgs beim Abschluss aus der jeweiligen Position, nicht besonders hoch, obwohl sich der Spieler beim Abschluss im Strafraum befindet. Dementsprechend deutet die reine Anzahl der Schüsse aus der Box nicht per se auf eine hohe Qualität der Abschlüsse hin, sondern zeigt eher an, dass es 96 oft gut gelang, überhaupt in das Angriffsdrittel vorzudringen. Zu guter Letzt ist zu bedenken, dass eine gute Chancenverwertung bei einer Quote von etwa 30% liegt – viele Torschüsse, selbst einige erfolgswahrscheinliche, gehen einfach nicht rein. Somit sind 16 Torschüsse unter normalen Umständen auch nicht für viel mehr als drei Tore gut. Diese drei Tore sollten es dann aber schon werden. So landet man irgendwann also erneut bei den einzelnen Schüssen und dem unvermeidlichen Einfluss von Zufall/Pech und individueller Qualität. Letztere sogar nur bezogen auf den einen Moment, da entgegen der weit verbreiteten Annahme Torschüsse zwar trainiert werden können, der Einfluss dieses Trainings auf den Erfolg im Spiel aber sehr zweifelhaft ist – jeder Schuss im Spiel ist vor dem Hintergrund seiner Entstehung, der Spielsituation und dem Verhalten des Gegners ein Unikat, dessen Verwertung man nicht trainieren kann. Aber festgehalten werden soll: wer sich bei wechselhaften Darbietungen in der Offensive für die guten Auftritte nicht belohnt – aus welchen Gründen auch immer – muss leiden. Und rutscht wie Hannover 96 früher oder später in der Tabelle immer weiter ab.
Sowohl die Umstellung auf das 4-1-4-1-/4-4-1-1-Mischsystem in den drei Partien vor Korkuts letztem Spiel in Leverkusen, als auch der Trainerwechsel zeigten einen gewissen Effekt. Mit der Umstellung der Formation konnte zumindest in dieser kurzen Zeit eine Stabilisierung der Anzahl an soliden Abschlüssen erreicht werden, sodass das Auf und Ab aus den vorangegangenen Wochen beendet schien. Nach der Amtsübernahme von Michael Frontzeck gab es zunächst eine mittelhohe Anzahl an Schüssen im Strafraum zu beobachten, die bereits wenige Wochen später wieder stark abnahm. Auffällig ist die unter Frontzeck leicht gestiegene Anzahl an Abschlüssen aus dem Feld – unter dem neuen 96-Trainer wurde, wie in den entsprechenden Analysen teilweise moniert, viel und gerne aus der Distanz aufs Tor gebolzt. Natürlich kann man auch aus mehr als 16 Metern Entfernung treffen. Besonders wahrscheinlich ist es aber nicht. Die Entwicklung in Richtung eines geringeren Abstands zwischen den beiden Kurven kulminierte schlussendlich am letzten Spieltag gegen Freiburg – 96 schloss von außerhalb des gegnerischen Sechzehners häufiger ab als aus der Nähe des Tores. Bezeichnend. (Für eine aussagekräftigere Analyse des Problems der Torgefahr müsste man sich auf das ExpectedGoals-Modell und noch ein paar weitere Nerd-Statistiken zu Torschüssen stürzen, die sind aber aus gutem Grund nicht frei zugänglich.)
Angriffsstruktur
Eine der am häufigsten und vehementesten kritisierten Eigenschaften des Angriffsspiels von Hannover 96 bestand in der Konzentration auf das Spielfeldzentrum. Hatte 96 passend zur etwas stärker mit Kontern operierenden Angriffsweise in der Anfangsphase der Saison noch schwankend, aber teilweise auch oft den Weg über die Flügel gesucht, ist im Zuge der spielerischen Weiterentwicklung eine Abnahme an Flanken aus dem offenen Spiel festzustellen. Flache Kombinationen durch das Zentrum stellten die gewünschte und am meisten gesehene Art der Fortbewegung in der gegnerischen Hälfte dar. Passend dazu erfolgte die Besetzung der nominellen Flügelpositionen durch einerseits den inversen Kiyotake links und andererseits den stürmerhaften Briand rechts. Gelegentlich schaffte es 96 im weiteren Verlauf der Saison genau deswegen allerdings nicht, ausreichend Tempo in die Angriffe zu bringen. In Folge einzelner falscher individueller Entscheidungen mangelte es dem 96-Spiel im Übergang vom zweiten ins dritte Drittel an Breite, mit der die gegnerische Formation etwas auseinandergezogen werden sollte. Durch nachrückende oder nachstoßende Lauf- und Passwege hätte so die Geschwindigkeit des Angriffsvortrags erhöht werden können. Da dies ein paar Mal allerdings ausblieb, konnte 96 bei den Attacken durch das Zentrum zu stark ausgebremst werden. Im Bewusstsein dieser Probleme wurde während der Sieglosserie in der Rückrunde darauf reagiert und die andere Besetzung der Angriffsräume führte zu mehr Hereingaben von den Flügeln. Insbesondere die Formationsumstellung mit dem breiteren offensiven Mittelfeld führte zu einer stark gestiegenen Anzahl an „Flanken“ (Spieltage 26-28).
Der hohe Flügel- und Flankenfokus stellte die wohl auffälligste Veränderung taktischer Natur im Angriffsspiel nach dem Trainerwechsel dar. Insbesondere in der ersten Begegnung unter dem neuen 96-Trainer flankte die Mannschaft alles in den gegnerischen Strafraum, was nicht bei Drei auf den Bäumen war. Immerhin wurde dies mit einer bewusst erhöhten Präsenz in der Offensive garniert, indem Leon Andreasen und der ballferne Flügelspieler den/die Stürmer im Angriffszentrum unterstützten. Mit einer beeindruckenden Bilanz von 22 Flanken aus dem freien Spiel heraus stand am Ende der Partie gegen Hoffenheim der 96-Saisonrekord – beeindruckend insofern, als dieses Spiel die bereits mehrfach angesprochene Ineffizienz gewisser Flanken erneut belegte, da aus diesen Bemühungen nichts Zählbares entsprang. Möglicherweise/ hoffentlich ist die Entwicklung hin zu deutlich weniger Flanken in den folgenden Spielen demzufolge auf eine Art von „Lerneffekt“ zurückzuführen. Dennoch blieben die Spiele gegen Wolfsburg und Freiburg in dieser Hinsicht über dem üblichen Maß an Hereingaben aus der Korkut-Amtszeit. Wie wir oben allerdings sehen konnten, stieg die Anzahl an Abschlüssen im gegnerischen Strafraum keineswegs so stark an, wie nun auf Grundlage der beobachteten Zunahme an Flanken zu „hoffen“ wäre.
Die Erklärung dafür ist nicht aus den reinen Zahlen abzulesen, aber trotzdem ziemlich simpel. Die Mehrzahl der „Flanken“ unter Tayfun Korkut hatte mit dem, was unter Frontzecks Ägide als „Flanke“ in die Statistik aufgenommen wurde, wenig gemein. Für die Datenerhebung ist es lediglich relevant, ob der Ball von außen in die Mitte vor das Tor gebracht wird, um das Abspiel als Flanke zu werten. In der Realität ist es aber von höchster Bedeutung, auf welche Weise der Ball diesen Weg zurücklegt. Natürlich gab es auch unter der Amtsführung Tayfun Korkuts hohe Hereingaben von weit draußen. In der Regel bestand eine Flanke in den besseren Zeiten des Hannoverschen Spiels aber in einem scharfen, flachen Pass aus dem Halbraum oder etwas seitlicheren Zonen im Angriffsdrittel, wenn möglich zudem vorzugweise als Ablage in den Rückraum gespielt. Diese Art der Hereingabe hat verschiedene Vorteile, so etwa die bessere Handhabung für den Empfänger, eine höhere Präzision im Abspiel und andere Probleme für die Verteidiger. Unter Korkut wurde weniger „geflankt“, die Hereingaben von den Seiten kamen jedoch einigermaßen regelmäßig an und konnten insgesamt besser verwertet werden. Unter Michael Frontzeck war diese Art der Torschussvorbereitung nahezu ausgestorben. Überspitzt gesagt lautete insbesondere im ersten Spiel das Motto: egal von wo, Hauptsache hoch in den Strafraum, irgendwer wird schon drankommen. Auch in den folgenden Partien unter der Leitung des neuen 96-Cheftrainers wurde der Ball gerne bereits aus dem Halbfeld hoch in den Strafraum befördert. Diese Art der Hereingabe hat verschiedene Nachteile, so etwa die schlechtere Handhabung für den Empfänger, eine viel geringere Präzision im Abspiel und viele Vorteile für die Verteidiger. Unter Frontzeck wurde viel geflankt, die Hereingaben von irgendwo kamen regelmäßig nicht an oder wurden kaum gefährlich. Lediglich die hohe Anzahl an Hereingaben und einzelne darauf passend angelegte Staffelungen führten zu zwei, drei Toren als Folge der Flanken (ausdrücklich ausgenommen die Staffelung auf die zweiten Bälle – die war phasenweise nicht existent. Was kurios ist, weil die persönliche Präferenz des Autors dahingeht, hohe Flanken nur als Scheinangriff vorzunehmen, und dann bewusst auf den zweiten Ball zu gehen und diesen als eigentlichen Ansatz zum Angriff zu betrachten – einfach mal genau das Gegenteil vom tatsächlich gesehenen). Also effektiv nichts, was ein Beibehalten dieser Offensivstrategie rechtfertigen könnte.
Tore
Wenden wir uns Erfreulicherem zu. Letztlich gelang es in den letzten Spielen unter der Leitung von Michael Frontzeck, mehr Tore zu schießen als man kassierte. In der Phase vor dem Trainerwechsel war das überwiegend nicht der Fall. Dennoch erzielte 96 auch vorher das ein oder andere Tor. Die Entstehung dieser Treffer wollen wir im Folgenden überwiegend grafisch rekapitulieren.
Die Hälfte der von 96 erzielten Tore erfolgte nach Angriffen aus dem freien Spiel heraus. Einem Viertel aller Treffer ging entweder ein Freistoß oder Einwurf voraus (darunter auch direkte Freistoßtore). Mit acht Toren nach Eckbällen belegt 96 in dieser Kategorie einen der oberen Plätze in der Liga. Die übrigen zwei der insgesamt 40 Tore fielen per Elfmeter (Joselu in Augsburg, Stindl gegen Hoffenheim).
Um festzulegen, wo auf dem Spielfeld die entscheidenden Angriffe entsprangen, teilen wir das Spielfeld in vier vertikale Zonen ein. Der erste Bereich besteht aus dem eigenen Drittel. Das Mittelfelddrittel wird halbiert: „2“ umfasst den Teil des Mittelfelds in der eigenen Hälfte, die dritte Zone beginnt dementsprechend hinter der Mittellinie. Schließlich folgt mit dem Angriffsdrittel die vierte Zone. Die Verteilung zeigt, dass ein Großteil der 96-Tore seinen Ursprung in der gegnerischen Hälfte fand. Dabei wird nicht zwischen Toren aus dem freien Spiel und Standardsituationen unterschieden, sodass die 15 Tore mit dem Ursprung in Zone 4 (schwarz) insofern relativiert werden, als sie auch die acht Tore nach Eckbällen enthalten. Die vermeintlich große Anzahl an Treffern mit dem Startpunkt im Angriffsdrittel deutet daher nur bedingt auf besonders viele Umschaltangriffe und frühe Balleroberungen hin. Tore dieser Art sind dennoch überwiegend in der grünen Zone 3 zu finden, wenngleich von dort auch der ein oder andere Freistoß zu einem Treffer führte. Erfreulich im Sinne des Bemühens um wirklich „herausgespielte“ Tore sind die erfolgreichen Angriffe, die in der eigenen Hälfte begonnen wurden.
Viel mehr Interessantes kann uns die reine Verteilung jedoch nicht anzeigen, als so viel: 96 erzielte viele Tore, die ihren Ursprung in der gegnerischen Hälfte hatten und immerhin ein paar in Folge von herausgespielten Angriffen. Noch interessanter ist allerdings, wie viele Ballkontakte Hannover 96 vor den Toren sammeln konnte. Schließlich sind auch Treffer vorstellbar, bei denen der Ball lang mit dem Abstoß in die gegnerische Hälfte gebracht und dort nach einer Kopfballverlängerung verwertet wird. In diesem Fall hätten wir zwar eine „1“ vermerkt, wirklich „herausgespielt“ wäre der Treffer allerdings nicht. Wie es der Zufall will, haben wir diese Information auch gesammelt.
Sieht auf den ersten und zweiten Blick vielleicht etwas sehr ungewöhnlich und verwirrend aus, ist aber im Prinzip recht einfach zu lesen: Jedes von Hannover 96 erzielte Tor besteht aus jeweils einem grünen und einem roten Punkt. Der grüne Punkt kennzeichnet die Anzahl an „Ballbesitzen“ vor dem Tor, während der rote Punkt den Ausgangspunkt der Angriffe markiert (siehe Grafik oben). Dabei wird zur Erhöhung der Aussagekraft der Ballbesitz so definiert, dass jeder Spieler, der im Angriff an den Ball kommt, unabhängig von seiner Zeit am Ball nur einmal gezählt wird. Es geht also im Bereich der „Ballbesitze“ nicht um die Anzahl der Kontakte während des Angriffs (das wäre nicht nachvollziehbar zu zählen), sondern um die Anzahl der am Angriff beteiligten Spieler. Dabei gilt im Sinne des kombinatorischen Ballbesitzfußballs: je mehr, desto besser. Gegnerische Kontakte führen nicht zwangsläufig dazu die Zählung auf null zu setzen. Dies geschieht nur in Fällen, in denen die Unterbrechung durch die Gegenseite an der Struktur des Angriffs etwas ändert (das ist zugegenermaßen recht subjektiv und somit ungenau, aber das ist bei der Datenerhebung durch Menschen leider oft unausweichlich). Für die Ausgangspunkte der Angriffe gilt: je näher am eigenen Tor (also „1“), desto besser, aber auch desto schwieriger. Folglich sind die Tore als ganz besonders gelungen anzusehen, deren grüner Punkt weit oben liegt, während idealerweise der Abstand zu ihrem jeweiligen roten Punkt so groß wie möglich ist. Vier solcher gelungenen Tore sind mit den vertikalen Verbindungen markiert. Gewiss hervorstechend sind dabei der Treffer zum zwischenzeitlichen 2:2 in Hoffenheim und das 0:1 in Bremen in der Hinrunde, sowie auch das Führungstor in Köln in der Rückrunde. Nach dem Trainerwechsel fiel, wenig überraschend angesichts der spielerischen Ausrichtung und der sehr geringen Anzahl an Spielen, nur ein Tor aus der eigenen Hälfte. Dabei zeigt sich eine Schwäche dieser Art der Aufzeichnung: sechs Ballbesitze klingt recht viel, darin sind jedoch mit einem langen vertikalen Ball in die Spitze und einer weiten Flanke zwei „unpassende“ Zuspiele enthalten. Für die nächste Saison lernen wir daraus, noch ein paar zusätzliche Informationen zu allen erzielten Toren zu sammeln und an den Definitionen zu arbeiten (außerdem, die Tore nach Standardsituationen aus der grafischen Darstellung herauszulassen. Das ist nun wirklich uninteressant, gewissermaßen grafisch-statistischer Lärm). Und vor allem, auch die Gegentore auf eine ähnliche Weise zu erfassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir in dieser Hinsicht auch im nächsten Jahr mehr zu beobachten haben, was die Analyse der Zahlen aussagekräftiger macht.
Defensive
Womit wir bei der Defensive angelangt wären. Die Arbeit gegen den Ball unterlag natürlich ebenfalls verschiedenen Entwicklungsphasen und hätte mindestens die gleiche Aufmerksamkeit verdient, wie die bisher beleuchteten Aspekte des 96-Spiels. Aber wir machen es etwas kürzer. Saisonbeginn: Kompakteres Verteidigen, Mittelfeldpressing, dabei einzelne leichte Anpassungen. Rückkehr Stindl: Geringere Kompaktheit, höheres Pressing, intensiveres Anlaufen, erst sehr erfolgreich, danach ein paar kleinere Probleme mit der Raumbesetzung hinter dem vorderen Pressingband. Ein paar gute Anpassungen an die Gegner durch variierendes Verhalten der Flügelspieler (mal eher 4-4-2-Pressing, mal 4-2-1-3, usw.). Ein taktisches Highlight war das unorthodoxe verschobene 5-3-2 gegen Bayern München und teilweise Gladbach. Eigentlich dauerhaft gutes ballorientiertes Verschieben mit überwiegend gutem Durchsichern und ansprechender Intensität. Gegenpressing ziemlich wechselhaft. Trainerwechsel: Pressinghöhe wieder reduziert, kompakteres Warten auf den Gegner, Anlaufen weniger druckvoll, dafür teilweise etwas stärker leitend.
Leider gibt es für die Defensivarbeit, verstanden als ebenso kollektive Aufgabe wie etwa der Ballbesitz, keine besonders schönen und aussagekräftigen Statistiken. Man könnte die Zweikampfquote bemühen, aber was als „Zweikampf“ bewertet wird, ist manchmal nicht besonders toll. Außerdem sind die Werte in der Regel nicht wirklich interessant (mal ein bisschen über, mal ein bisschen unter 50 Prozent). Festzuhalten ist lediglich, dass 96 eins der zweikampfstärksten Teams der Liga formte, was wohl zu einem großen Teil auf die robuste Endverteidigung und die Kopfballstärke zurückzuführen ist (Saison-Durchschnitt: 51% gewonnene Zweikämpfe; keine besonders interessanten Abweichungen durch den Trainerwechsel).Auch nicht wahnsinnig interessant, zudem nicht rein der Defensive zuzuordnen. Zudem ist die Laufdistanz der gesamten Mannschaft auch sehr abhängig von der taktischen Marschroute des Gegners (siehe markiertes Spiel gegen Gladbach), dem Spielstand und seinen Effekten („positiv“: Köln; „negativ“: Leverkusen). In der Bundesliga mit ihrem insgesamt disziplinierten Pressing und Umschaltfokus wird ohnehin sehr viel gelaufen. 96 ist dabei als eines der laufstärksten Teams in Erscheinung getreten. Der Trainerwechsel bewirkte eine leichte Verminderung der Gesamtlaufleistung und einen minimalen Anstieg an Sprints, was aber auch auf Grund der geringen Anzahl an Spielen nicht überbewertet werden sollte. Was das Spiel gegen den Ball betrifft, gibt es allerdings im Bereich der nicht frei zugänglichen Statistiken ein paar sehr viel interessantere und aussagekräftigere Indikatoren:
Auch diese Darstellung bestätigt die subjektiven Eindrücke aus den meisten 96-Spielen: Hannover lässt den Gegner in dessen eigenem Drittel bei Ballbesitz nicht in Ruhe. Das unter Tayfun Korkut im Laufe der Saison immer weiter ausgebaute hohe Pressing und verschiedene Anlaufmechanismen führten dazu, dass nur der FC Bayern eine geringere gegnerische Passquote im ersten Drittel zulässt. Etwas überraschend rangiert 96 in dieser Hinsicht sogar vor den vor allem zu Saisonbeginn mit wildem Angriffspressing auftretenden Leverkusenern. Da die hier gezeigten Werte zudem ein paar Wochen alt sind, sind sie noch nicht vom Effekt der Umstellungen nach dem Trainerwechsel verfälscht. Unter Frontzeck wurde die Pressinghöhe wie bereits erwähnt zurückgeschraubt und das Anlaufen der gegnerischen Aufbauspieler reduziert. Es ist also davon auszugehen, dass 96 in der letzten Phase der Saison diesen Spitzenplatz in der Rangfolge der aggressiv störenden Teams nicht gehalten hat.
Fazit und Ausblick
Wie 96 auch den absolut zufriedenstellenden achten Tabellenplatz nach der Hinrunde nicht gehalten hat. Die Vermutung, dass es für den sportlichen Niedergang nicht den einen großen Grund gab, wird durch den Blick auf ein paar einfache Statistiken bestärkt. Generell ist auch nicht davon auszugehen, dass man das Geheimnis um die Ursachen der Sieglosigkeit ergründen könnte, wenn man tiefer in mehr und vor allem bessere Statistiken eintauchen würde. Stattdessen müssen wir uns mit der naheliegenden Erklärung begnügen, die trotz ihrer Schlichtheit nicht an Komplexität verliert: Dass Hannover 96 nach dem guten ersten Halbjahr noch in solche Turbulenzen geraten konnte, hatte viele kleine und ein paar mittelgroße Gründe, die sich aber von Spiel zu Spiel unterschiedlich auswirkten. Wie an den gezeigten Kurven zu sehen ist, kann die Leistung der Mannschaft zu Beginn der Rückrunde nicht wirklich als schlecht bezeichnet werden. Zum damaligen Zeitpunkt hat das auch kaum jemand nach dem subjektiven Eindruck der Spiele getan, das erfolgte bezeichnenderweise erst rückblickend. Die spielerische Entwicklung, die im Laufe der ersten 17 Spiele immer mehr an Fahrt aufgenommen hatte, setzte sich auch in der Rückrunde eindeutig fort. Wer sich beispielsweise an die Spiele gegen Bremen Ende des Jahres oder gegen Schalke und Hamburg in der Rückrunde erinnert, wird lange in seinem Gedächtnis wühlen müssen, um auf vergleichbar dominante und taktisch/spielerisch gute Begegnungen von 96 zu stoßen. Dass die ansprechenden Darbietungen nicht zu Punkten führten, lag mal an schlechter Chancenverwertung, mal an mangelnder Durchschlagskraft in der Offensive, mal an guten Gegnern, mal an unfassbar dämlichen oder unfassbar unglücklichen Gegentoren, mal am Pech, mal an wiederum anderen Dingen. Die von den Resultaten erzeugte Negativspirale wirkte sich dann vielleicht auch psychologisch wenig günstig auf die Spieler aus, sodass Mitte der Rückserie ein paar tatsächlich schwache Leistungen dazukamen. Als Reaktion darauf änderte Tayfun Korkut taktisch einiges – etwa die Umstellung auf ein offensives 4-1-3-2 zur Halbzeit gegen Paderborn, die gute Defensivanpassung gegen die Bayern und Gladbacher oder schlussendlich die Formationsänderung auf ein 4-1-4-1. Von der gerne behaupteten „Sturheit des überschätzten 40-Jährigen türkischen Trainernovizen“ bleibt bei nur ansatzweise tiefergehender Betrachtung der Rückrunde wenig Substanz übrig. All das führte wie in den entsprechenden Analysen erwähnt auch immer wieder zu besseren Spielen von 96, sodass mehrere schwache Auftritte hintereinander nicht wirklich festgestellt werden konnten. Aber es nützte nichts, der Erfolg mied Hannover. Korkut selber sprach einmal davon, in den Videoanalysen der Begegnungen den Eindruck bekommen zu haben, dass oft mehrere kleine Szenen gegen 96 liefen und sich kurz darauf als Knackpunkte in den Spielen herausstellten. Das ist eine durchaus brauchbare Arbeitshypothese und ließe sich auch an vielen Spielen demonstrieren. Nur hilft uns das auch nicht wirklich weiter, weil sich bei diesen Knackpunkten kein wirkliches Muster erkennen lässt. Mal waren es mehrere verlorene zweite Bälle nach der Führung (Berlin), mal unerklärliche individuelle Fehler (Frankfurt), mal „unglückliche“ Schiedsrichterentscheidungen (Bayern) und mal ein absolut überflüssiger Platzverweis (Dortmund), die die Spieldynamik zu Ungunsten von 96 beeinflussten. Das klingt wie eine Ausrede, ist letztlich aber nur der eine Teil einer immer noch unzureichenden Erklärung. Der andere besteht darin, dass es Korkut und seiner Mannschaft nach dem spielerisch guten Start in die Rückrunde nicht gelungen ist, das eigene Niveau so weit zu stabilisieren, dass der Einfluss solcher Knackpunkte begrenzt werden konnte. 96 scheiterte letztlich wohl vor allem an der eigenen mangelnden Konstanz innerhalb der einzelnen Spiele, die den negativen Einfluss der jeweiligen Szenen erst zunehmen ließ. Selbst wenn der Spielverlauf und die entsprechenden Knackpunkte einmal für 96 liefen, konnte die Mannschaft nicht gewinnen. Wie gegen Paderborn, als Miiko Albornoz erst den Ball vor der Linie rettete und 96 wenige Sekunden später die Führung in einem sehr zerfahrenen und durchaus schwachen Spiel erzielen konnte. Solche Spielverläufe hat man schon oft gesehen, in der Regel gewinnt nach einer solchen Aufeinanderfolge entscheidender Szenen die Mannschaft mit dem Führungstor. Nicht so bei 96.
In dem einen Spiel waren Kleinigkeiten entscheidend für den verpassten Sieg, im nächsten Spiel war es eigenes Unvermögen, im wieder anderen die schlechte Chancenverwertung und das Pech… irgendwann kommt alles zusammen. 96 machte in der Rückrunde definitiv Fehler und war nicht konstant und stabil genug in seiner Leistung. Ein solcher Absturz war in diesem Ausmaß dennoch nicht gerechtfertigt. Viele Mittelfeldmannschaften zeigten in dieser qualitativ sehr schwachen Bundesligasaison kaum Konstanz und waren spielerisch arg limitiert, ohne erkennbar an den eigenen Schwächen zu arbeiten, holten aber bessere Resultate als 96. So ist es im Fußball leider manchmal.
Wie einige Konkurrenten auch reagierte die Vereinsführung auf die sportliche Talfahrt mit einer Trainerentlassung. Die damals getroffene Behauptung, es sei zu spät und ein neuer Übungsleiter könne ohnehin nicht mehr viel ändern, hat sich im Rückblick als großer Blödsinn erwiesen. (Warum hätte man es sonst auch tun sollen?) Nicht nur der erste Eindruck aus den Spielen, sondern auch die statistischen Werte verdeutlichen, dass der Trainerwechsel sehr wohl etwas bewirkt hat: Michael Frontzecks Ankündigung, es gehe nun „um die einfachen Dinge“ wurde konsequent in die Tat umgesetzt. Auch Frontzecks Beteuerung, er habe sich die vorherigen Spiele seiner Mannschaft nicht angeschaut, gewinnt vor dem Hintergrund der Zahlen einiges an Glaubwürdigkeit. 96 spielte simpler, eindimensionaler und reaktiver. Es wurde viel gebolzt, es wurde viel geflankt, es wurde wenig Fußball gespielt. Frontzecks Elf verteidigte weniger aktiv und entwickelte eine eindeutige Tendenz zum langen, hohen Ball. Gewissermaßen ist die urwüchsige, flügel- und flankenlastige Spielweise der letzten fünf Begegnungen die fleischgewordene Vermeidung von Möglichkeiten zum Fehler bei gleichzeitiger Provokation des Zufalls: Der Gegner sollte möglichst mit langen Bällen im Aufbau überspielt werden, um nicht ausgekontert werden zu können; wenn 96 selber nach Balleroberungen nicht schnell zum gegnerischen Tor kommen konnte, sollte das Spielgerät möglichst einfach und möglichst häufig irgendwie in die Nähe des Tores gebracht werden. Für schlechte Mannschaften ist diese Strategie gar nicht unvernünftig. Schlechte Mannschaften haben oft Probleme, konstant in torgefährliche Zonen zu gelangen. Wenn man nun einfach beharrlich genug den Ball in den Strafraum bugsiert, wird irgendwann der Zufall schon dabei helfen, dass vielleicht ein, zwei Mal etwas Gefährliches dabei herausspringt. 96 passte sich also nach dem Trainerwechsel mit seiner Spielweise an die eigene Tabellenplatzierung an. Die Spielerauswahl wurde schrittweise an die neue Ausrichtung angepasst (Joselu passt dafür nicht besonders gut, Briand sehr viel besser; Kiyotake passt im Prinzip gar nicht, also schieben wir ihn ins sowieso weitgehend ignorierte Zentrum ab; Stindl passt überall, also spielen wir ihn immer an; für Andreasen ist dieses Spiel mehr oder weniger ideal, etc.). Die schlicht erzeugte Nahezu-Torgefahr sorgte auf Grund der sinnvollen Erhöhung der Offensivpräsenz in Kombination mit glücklichen Zufällen für zwei Siege am Ende der Saison. Trotz phasenweise sehr bescheidener Leistung konnte 96 in Augsburg und gegen Freiburg gewinnen und sicherte sich so den Klassenerhalt.
Also geht es in Hannover auch in der nächsten Saison erstklassig weiter. In Folge der lange unklaren Ligazugehörigkeit und des hausgemachten Kompetenzchaos in der sportlichen Führung konnte die Kaderplanung erst spät aufgenommen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht absehbar, in welche Richtung es für Hannover 96 gehen könnte. Klar ist nur, dass die individuelle Qualität des Kaders durch den Abgang Lars Stindls massiv geschwächt ist. Es könnte sich zumindest in dieser Hinsicht als hilfreich herausstellen, dass das offensive Zentrum in den taktischen Erwägungen Frontzecks möglicherweise nicht die größte Rolle spielt. Doch auch in diesem Bereich kann momentan nur spekuliert werden. Eins sollte nur klar sein: wenn jemand auf die Idee kommt, den in den letzten fünf Partien eingeschlagenen Weg weiterzugehen, wird derjenige recht bald auf dem Boden der Tatsachen angelangen. Mag das aufs Simpelste heruntergebrochene Flügel- und Umschaltspiel eine für die letzten fünf Spiele einigermaßen nachvollziehbare Alternative gewesen sein, ist die extrem geringe Erfolgsstabilität dieser Spielweise ein Ausschlusskriterium für einen längeren Zeitraum.
Es ist nicht zuletzt auf Grund der langen Saisonvorbereitung davon auszugehen, dass einige hilfreiche Elemente in das taktische Repertoire aufgenommen werden, die zuletzt nicht zu sehen waren. Die in der Hinrunde begonnene spielerische und strategische Entwicklung von Hannover 96 ist dennoch mit ziemlicher Sicherheit wieder gestoppt und der einstige Plan der Vereinsführung verworfen. Dominanz und Aktivität sind in dem anvisierten Ausmaß in der nächsten Spielzeit eher nicht zu erwarten. Doch das ist alles Zukunftsmusik. Im Moment sollte noch die Erleichterung überwiegen, dass diese wechselhafte, beschissene, faszinierende Saison von Hannover 96 ein glückliches Ende gefunden hat.
(Bis auf die Erhebungen zu den Toren stammen alle von uns grafisch aufbereiteten statistischen Werte von bundesliga.de)
Umfassende,richtig gute Ananlyse.Vielen Dank!
Kurz und knapp: Unvermögen,Pech und als Hauptgrund für die Misere die mangelhafte Chancenverwertung..Ich bin überzeugt davon,wenn 96 in HH gewonnen hätte,dann wäre man nicht in so eine Abwärtsspirale gekommen und vermutlich Tayfun Korkut noch der Trainer.
Wie dem auch sei,freuen wir uns auf eine neue Bundesligasaison!
Wir hoffen das Beste, wie immer.
Ich befürchte Schlimmes, wie immer! 😉
Der Hamburg-These stimme ich zu, was das Ganze umso unerträglicher macht.