Nach der Länderspielpause kam es zum Wiedersehen mit dem Retter der letzten Saison, Lars Stindl. Beide Mannschaften mussten verletzungsbedingt umstellen, was im Falle Hannovers zu einer interessanten Aufstellung mit potentiell vielversprechenden Eigenschaften im Offensiv- und Defensivspiel führte. Ein sehr wechselvolles und in der zweiten Hälfte auch sehr ereignis- und temporeiches Spiel findet in Gladbach den verdienten Sieger.
- 96 startet mit Gülselam als zweiter Pressingspitze und einem kompakten 4-4-1-1 gut in die Partie, weil die ersten zwei, drei Angriffsansätze etwas glücklich „durchrutschen“ und 96 mehr Offensivpräsenz ausstrahlt als gewohnt.
- Gladbach braucht etwas, um sich im Ballbesitz zu finden, und tut es erst ab Mitte der ersten Halbzeit annähernd. Mit hohem Zustellen zwingt die Schubert-Elf 96 zu vielen langen Bällen, gewinnt darüber die Spielkontrolle, kommt zunehmend zu Chancen und folgerichtig auch zur Führung.
- In der zweiten Halbzeit ist dann wieder 96 am Drücker und gleicht aus, bevor es minutenlang rauf und runter geht. In dieser chancenreichen Phase setzt sich trotz insgesamt wenig berauschender Vorstellung die individuelle und taktische Klasse der Gladbacher durch, weil 96 etwas zu passiv wird.
Gladbacher Unklarheit im Aufbau gegen Gülselams monströsen Deckungsschatten
Auf Seiten der Gladbacher war die interessanteste Frage vor dem Anpfiff, wie die Schubert-Elf im Spielaufbau die Sperre von Granit Xhaka kompensieren würde. An seine Stelle rückte der Aushilfs-Rechtsverteidiger Havard Nordtveit neben Mo Dahoud. In der ersten Spieleröffnungssituation kippte dann auch Nordtveit zentral zwischen die Innenverteidiger ab, wie es Xhaka für gewöhnlich tut (wenngleich unter Schubert nicht immer so mechanisch). Mo Dahoud und die beiden beständig zurückfallenden „Neuneinhalber“ sollten dann im Zentrum für gute Ballbesitzstrukturen sorgen. Doch in der Anfangsphase gab es gewisse Unklarheiten über die Aufbaustaffelungen, sodass sich Gladbach nicht wirklich in den Angriff vorspielen konnte. Hannover trat mit Ceyhun Gülselam hinter Artur Sobiech in einem kompakten 4-4-1-1 gegen den Ball an, das immer wieder auch zu 4-5-1-haften Strukturen wurde, wenn Gülselam noch weiter zurückfiel. Wegen Gülselams Präsenz und Intelligenz im Pressing sowie dem geringen Druck in der vordersten Pressingreihe bestand aus Sicht der Fohlenelf keine Notwendigkeit einen zentralen Mittelfeldspieler zu opfern, und die Doppelsechs Dahoud/Nordtveit verblieb höher.
Doch die erste Chance im Spiel besaß überraschend 96. Im Ballbesitz hielt Gülselam als nomineller Zehner mal mehr Kontakt zu Sané im Zentrum, positionierte sich dann aber auch wieder höher als Zielspieler oder Ballhalter, um das Spiel zu verzögern und auf die nachrückenden Flügelspieler zu verlagern. Nach wenigen Minuten spielte er aus allerdings tieferer Stellung einen langen Ball in die Spitze, wo Karaman eingerückt bei Sobiech stand. Mit etwas Glück rutschte der Ball auf Sobiech durch und der Pole stieß in den Strafraum vor, doch sein Tunnel gegen Sommer wurde auf der Linie geklärt. Auch in der Folge kam Hannover noch zu ein, zwei gefährlichen Umschaltangriffen, die durch gute, wenn auch etwas glückliche Pässe in die Tiefe auf Uffe Bech gefielen. In dieser insgesamt guten Anfangsphase überzeugte teilweise auch die 96-Ballbesitzstruktur. Während Manuel Schmiedebach im Aufbau überwiegend nach links herauskippte, zeigte Kenan Karaman gute und vielfältige Bewegungen in Richtung des Zentrums. Auch sein ballorientiertes Zurückfallen im linken Halbraum konnte mit Schmiedebach und Albornoz gut eingebunden werden, sodass 96 zu ein paar netten Ansätzen aus dem Spielaufbau heraus kam. Doch grundsätzlich war das recht zugriffsorientierte und im Verlauf der ersten Halbzeit immer höhere Pressing der Gladbacher für 96 problematisch. Nachdem Karamans Aktionsradius nach einigen Minuten zurückging, entfaltete das hohe Zustellen der Schubert-Elf und das mannorientierte Aufrücken ihrer Sechser eine größere Wirkung. In Kombination mit den erneut eher schwachen 96-Freilaufbewegungen wurden Zieler und die Innenverteidiger in der Phase Mitte des ersten Durchgangs zu vielen langen Bällen in die Spitze gezwungen, die kaum gehalten werden konnten. Gladbach gewann so schrittweise die Spielkontrolle, wurde dominanter, besser und auch gefährlicher.
Dabei profitierten sie von gewissen Mechanismen im Aufbau zum Freispielen ihrer Außenverteidiger, wobei insbesondere Korb verstärkt gesucht wurde. Durch (angedeutete) Überladungen des linken Halbraums, die entstanden wenn sich Stindl dorthin fallen ließ und mit Raffael und Dahoud kurz kombinieren konnte, wurde 96 auf die Seite gezogen. Im Anschluss der folgenden Verlagerungen über Nordtveit und Christensen hatten Korb und Traoré etwas mehr Zeit, um den Angriff dynamischer durchzuspielen. In diesen Szenen war dann auch immer das bekannte mannorientierte Herausrücken der 96-Innenverteidiger zu sehen, was angesichts der geforderten Flexibilität der Gladbacher Angreifer theoretisch sehr problematisch hätte sein müssen. Die ansprechende Kompaktheit der Hannoverschen Formation wurde vor allem zu Beginn durch die relativ hoch stehende Abwehrreihe erzeugt, was dann in der Folge zu einigen lokal engen Unterzahl-Szenen für die Gladbacher führte. Dabei konnte sich Traoré jedoch einige Male stark lösen und erzeugte folglich große Gefahr, da 96 nicht immer konsequent genug nachschob oder – wenn doch – der ballferne Raum natürlich offen war. Nach einer der zahlreichen guten Engenauflösung durch Traoré kamen die Gladbach zu ihrer bis dahin besten Chance, doch der stark in den Strafraum einstartende Stindl scheiterte am Pfosten. Mit einem im ballfordernden Zurückfallen noch aktiveren (und auch zentraleren) Stindl, ein paar besseren Bewegungen von Nordtveit und auch besserer Abstimmung bei Verlagerungen fand die Fohlenelf nach dieser Großchance schrittweise besser in den gewohnten Ballbesitzrhythmus. Nordtveit kippte nach rechts heraus, wodurch Korb höher aufschieben und Traoré verstärkt einrücken konnte. Wenngleich immer noch etwas zu träge im Angriffsspiel, kam Gladbach zu guten Chancen. Traoré setzte sich nach einer Verlagerung auf dem Flügel durch, doch Schmiedebach klärte in höchster Not vor dem einschussbereiten Johnson. Nach einem abgewehrten Standard brachte Traoré den Ball erneut in den Strafraum, doch Raffael scheiterte mit seinem Kopfball völlig freistehend an Zieler. Der stärker werdende Druck der Hausherren resultierte dann folgerichtig in der Führung: Gladbach spielte halblinks in die Formation hinein, wo sich Raffael aus der Abwehr löste und Marcelo ihm folgte. 96 schob dahinter zu, doch Raffael behielt den Ball. Dahoud konnte das Spiel in den freien Raum auf den startenden Traoré verlagern, der Zieler tunnelte.
Gladbach blieb überwiegend dominant und hielt 96 mehr in der eigenen Hälfte. Das Kontern fiel der Frontzeck-Elf dadurch wieder schwerer. Nach einer schönen Hereingabe von Albornoz in den Rückraum kam Karaman noch zu einem guten Abschluss, doch auch die Borussia hatte noch ein paar Offensivansätze zu verzeichnen, bevor es trotz einer insgesamt ordentlichen 96-Leistung und einer guten Anfangsphase der Roten mit dem leistungsgerechten 1:0 in die Halbzeit ging.
Leichter 96-Aufwind und Gladbacher Schlussoffensive
Nach dem Wiederanpfiff blieb Gladbach bei der bis dahin stabilsten Aufbaustruktur, indem Nordtveit weiterhin überwiegend nach rechts herauskippte und Stindls Zurückfallen etwas besser eingebunden werden konnte. Doch auch in der zweiten Halbzeit wurden die Mittelfeldstaffelungen der Hausherren oft zu flach, und die Bewegungen der Flügelspieler gerieten etwas zu unpräsent. Gegen das nach wie vor sattelfeste 96-Mittelfeldpressing kamen die Gladbacher zwar zu Ballbesitz und spielten sich vereinzelt auf den Flügeln durch, doch die guten Chancen des zweiten Durchgangs hatten die Roten zu verzeichnen. Nach einer genialen Einzelaktion von Karaman, der sich nach einem Eckball dem Gegenpressing der Gladbacher erwehrte und stark auf Uffe Bech durchsteckte, landete der Abschluss des Dänen am Außenpfosten. Kurze Zeit später spielte sich 96 über den rechten Flügel mit Schmiedebach in den Angriff vor und bekam dort einen Freistoß zugesprochen. Albornoz‘ Hereingabe köpfte Sobiech auf das Tor, doch Sommer tauchte ab und verhinderte den Ausgleich. Erneut nach einem Ballgewinn im Zentrum und dem schnellen Gegenangriff wurde Gülselam von Karaman geschickt, doch Wendt brachte ihn vor dem Strafraum zu Fall – insgesamt kam 96 in dieser Phase trotz weiterhin weniger anspruchsvoller Spielanlage zu mehr Offensivpräsenz als die Fohlen, die sich mit einem Konter und der Hereingabe von Stindl das erste Mal dem Tor näherten. Trotz der etwas zwingenderen 96-Leistung in der zweiten Halbzeit besaß dann Gladbach die beste Chance der Partie, als sich Wendt auf der linken Seite in Unterzahl durchsetzte und Stindl im Strafraum fand. Der ehemalige 96-Kapitän ließ Schulz aussteigen und scheiterte frei vor Zieler erneut am Pfosten.
Statt das wohl vorentscheidende zweite Gegentor zu kassieren, kam 96 zum Ausgleich. Nach einer langen Flanke aus dem Halbfeld musste Sommer Gülselams Kopfball über die Latte lenken. Beim anschließenden Eckball stocherte Sobiech den Ball aus dem Gewühl irgendwie ins Tor. In der Folge entwickelte sich ein etwas wildes und schnelles Spiel mit vielen Konteransätzen und Gegenkontern, bei denen Bech für Hannover und Traoré sowie Raffael für Gladbach die besten Chancen vergaben. Bei 96 rannte fortan Saint-Maximin auf der rechten Seite herum, während durch den Wechsel Drmic-Jantschke und der folgenden Umstellung von Nordtveit in die Innenverteidigung und Stindl ins zentrale Mittelfeld das Gladbacher Spiel etwas stärkere Veränderungen aufzeigte. Mit Drmic im Sturm wurde das Spiel der Schubert-Elf etwas linearer und statischer im letzten Drittel, wodurch sich 96 allerdings auch zunehmend weiter zurückdrängen ließ, die Staffelungen am eigenen Strafraum flacher wurden und sich mehrere 5-4-1-Formationen ergaben. Mit den nachstoßenden Dahoud und Stindl konnten sich die Hausherren immer wieder von den Flügeln lösen und hielten 96 in der eigenen Hälfte. Das rächte sich dann rund zehn Minuten vor Schluss, als Gladbach nach einer Ecke am Ball blieb und Christensen den zweiten Ball von der Seite flach in den Strafraum legte. Raffael drückte den Ball zur neuerlichen Führung über die Linie.
Mit Benschop für Schmiedebach rutschte Gülselam gegen den Ball wieder auf die Sechs, während Schubert mit Elvedi und Schulz die Defensive verstärkte. Felipe als zusätzliche Kopfball-Option konnte im Angriff nichts mehr ausrichten, stattdessen kam Gladbach noch zu zwei gefährlichen Kontern und Abschlüssen. Doch Zieler sorgte dafür, dass es beim 2:1 für die Gladbacher blieb.
Fazit
96 fing gut an, hatte dabei allerdings auch das Glück, dass die auch in den letzten Spielen vorhandenen Umschaltansätze aus tieferen Zonen diesmal in der Offensive ankamen und somit das 96-Spiel auch optisch mehr Effektivität ausstrahlte. Die Gladbacher suchten über lange Zeit ihren Rhythmus und fanden ihn erst gegen Ende der beiden Halbzeiten annähernd, ohne ihr gewohntes oder gar mögliches Niveau zu erreichen. Ihre Mittelfeldstaffelungen waren oft zu flach und das wichtige Duo Raffael/Stindl konnte nicht konstant eingebunden werden. 96 überzeugte mit einer soliden Defensive und guten Einzelszenen im Angriff, die allerdings nicht unbedingt wiederholten Mustern folgten. Im Ballbesitz zeigte sich 96 gewohnt inkonstant. Das Tor fiel zwar erneut in Folge einer Standardsituation, doch mit drei, vier ordentlichen Schusschancen aus dem Spiel heraus stellte 96 vermutlich in dieser Hinsicht seinen Saisonbestwert auf und bestätigte den etwas zweifelhaft zustande gekommenen Ruf einer guten Auswärtsmannschaft. Gladbach hatte dennoch am Ende das deutliche Plus an aussichtsreichen Torschüssen zu verzeichnen und setzt sich mit dem entscheidenden Treffer in der sehr offenen Phase Mitte der zweiten Halbzeit durch.
Spieler des Spiels – Lars Stin… oh.
Wir wissen wie gut er ist, daher wissen wir auch, dass er den Ball zwei Mal mit voller Absicht nur an den Pfosten geschossen hat. Wenn er gewollt hätte, hätte er ihn auch reinmachen können. Aber hoffentlich hat dieses Spiel vielen 96-Fans gezeigt, dass der Kader eben nicht so schlecht ist, wie oft behauptet wird – man muss die guten Spieler eben einfach nur aufstellen und dann ein bisschen Glück haben. Kenan Karaman überzeugte vor allem in der Anfangsphase mit guten Bewegungen ins Zentrum, während er in der zweiten Halbzeit mit seiner technischen Klasse und Kreativität bestach. Manuel Schmiedebach war erneut enorm umtriebig und bissig, hatte aber leider einige schlechte Szenen im zweiten Durchgang. Ceyhun Gülselam spielte in einer sehr ungewohnten Rolle als Pseudo-Zehner, bei der er offensiv mit Ballhalten, als Zielspieler und nicht zuletzt mit zwei, drei guten öffnenden Pässen starke Szenen hatte, und als zweithöchster Pressingspieler seine enorme Präsenz gewinnbringend einbringen konnte. Uffe Bech bietet sich mit seiner quirligen Spielweise und seinen teilweise verrückten Tiefensprints wie gesehen für das angedachte Umschaltspiel bestens an, Oliver Sorg war auch nicht wirklich schlecht. Und über Ron-Robert Zielers Fähigkeiten am Ball (mal Raffael aussteigen lassen, mal coole Chip-Pässe, einfach vollkommen rationale Ignoranz gegenüber anlaufenden Stürmern) müssen wir ebenso wenig wie über seine torwartspezifischen Fähigkeiten ohnehin kein Wort mehr verlieren. Insgesamt also keine „nicht-erstligataugliche Mannschaft“. Man müsste ihr eben nur eine etwas stabilere Struktur geben. Was das bewirken kann, hat man teilweise heute gesehen.
Mittlerweile hätte Zieler doch auch einen Pfeil in der Grundformation verdient, wenn er mit der Murmel schon fast in der gegnerischen Hälfte aufbaut 😉
Hat er das heute gemacht? Wenn ja hab ich das wohl unter „ach, macht er doch eh immer“ verbucht und nicht weiter drüber nachgedacht. Aber hin und wieder kriegt er ja auch seinen eigenen Pfeil ;).
Zieht man die übliche leichte Übertreibung in meiner Aussage ab, sagen sowohl meine Erinnerung als auch die Heatmap auf süddeutsche.de „Ja“. 😀
Komisch, dass Wolf Fuss bei der Aufzählung (naja, waren eher nur zwei genannte Namen) von „modernen Torhütern“ trotzdem zuerst an Leno gedacht hat.
Ok, „fast in der gegnerischen Hälfte“. Kann man gelten lassen.
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