In der Nachberichterstattung zum 96-Spiel auf Schalke wurde, auch von uns, die ordentliche Anfangsphase gelobt, während Hannover ab Mitte der ersten Halbzeit immer mehr Chancen zuließ und selber nach vorne kaum noch gefährlich wurde. Wenn Erklärungen im Fußball sehr simpel sind, sind sie meistens falsch. Aber einen gewissen Teil des Leistungsabfalls in der ersten Halbzeit kann man an der Verletzung von Artur Sobiech festmachen. Beziehungsweise daran, dass für ihn Charlison Benschop aufs Feld kam.
Zu Beginn des Spiels stand 96 gegen den Ball relativ stabil und ließ die Schalker nicht ohne Weiteres ins Spiel kommen. 96 presste etwas höher als in den meisten Spielen; Gülselam, Sobiech oder der herausrückende Schmiedebach stellen Geis zu. Schalke musste daher etwas tiefer aufbauen; Geis konnte sich nicht wie gewünscht entfalten. Die 96-Abwehr stand sehr hoch und sorgte so für die gute Kompaktheit der Formation, was bereits beim starken Auftritt in Gladbach eines der Erfolgsrezepte gewesen war. Zwar überzeugte 96 auch in diesen ersten Minuten gegen Schalke gegen den Ball nicht vollends, war aber gut genug, um die im Aufbau nur mittelguten Schalker deutlich zu behindern. Ein wesentlicher Vorteil der insgesamt höheren Stellung war zudem, dass die Defensive früher Zugriff auf Leroy Sané ausüben konnte und der gar nicht erst mit Schwung für Probleme sorgen konnte. In diesen engen und kompakten Szenen am Flügel konnte Miiko Albornoz den schnellen Schalker noch sehr gut verteidigen. Doch nachdem Artur Sobiech in der ersten Spielminute unglücklich umgeknickt war, musste er nach rund einer Viertelstunde den Platz verlassen. Für ihn kam Charlison Benschop – und direkt in der ersten Pressingszene gegen den S04-Spielaufbau zeigte sich, dass dieser Wechsel Folgen haben würde.
96 versuchte nach dieser ersten Szene zwar noch ein paar Mal, im Verbund weiter herauszurücken, konnte sich aber dauerhaft nicht mehr „auf die Höhe bringen“. Schmiedebach konnte aus der tieferen Formation nicht mehr ohne Weiteres herausstoßen, um Geis anzulaufen, sodass dieser wieder seine gewohnten langen Diagonalbälle anbringen konnte. Das Nachrücken der Sechser und die Ablagen vom Flügel hielen 96 dann in der eigenen Hälfte – Schalke wurde immer dominanter und kam zu einigen Abschlüssen.
Logischerweise wurde auch das Kontern dadurch schwieriger. Der Weg zum Tor war nach Ballgewinnen deutlich länger als noch in der Anfangsphase, als 96 zwei vielversprechende Umschaltsituationen erzeugte. Unglücklicherweise wirkte sich der Wechsel Sobiech-Benschop auch in diesem Bereich negativ für 96 aus: Der ehemalige Düsseldorfer ist ein simpler, schnörkelloser Konterstürmer und sucht intuitiv den Weg in die Tiefe. Gegen die ordentlich abgesicherten Schalker und mit der eigenen Hälfte als Ausgangspunkt der Konter war dies wenig aussichtsreich. Sobiech hingegen ist in den letzten Wochen vor allem wegen seiner Fähigkeiten im Halten des Balls sehr wichtig für das (trotzdem wenig aufregende) 96-Angriffsspiel. Auch gegen mehrere Gegner macht der Pole den Ball fest, öffnet damit etwas Raum und verschafft den Mitspielern Zeit zum Aufrücken. Zwar ist Sobiech technisch nicht überdurchschnittlich stark oder weiträumig im Zurückfallen, besticht aber vor allem mit seinem sehr guten Timing und seiner technischen Selbsteinschätzung. Benschop besitzt beides eher nicht.
Grundsätzlich ist Benschop für die derzeitigen Anforderungen an die Stürmerposition bei 96 keine Optimalbesetzung. Zwar ist er ein sehr robuster Zielspieler für lange Bälle, doch in dieser Hinsicht ist er nicht sehr viel besser als Sobiech. Stattdessen ist Benschop noch linearer, obwohl Artur Sobiech natürlich kein außergewöhnlich spielstarker oder kreativer Stürmer ist. Aber: Sobiech ist enorm fleißig, sehr gut im Pressing und erfüllte zuletzt eine sehr unangenehme Rolle, von der die schnellen Flügelspieler (also… Bech) profitieren. Darunter leidet zwar seine eigene Torgefahr, aber dankenswerterweise scheint das vom Trainerteam richtig eingeordnet zu werden. Doch da Sobiech mit einer Knöchelstauchung ausfällt, wird sich etwas im 96-Spiel verändern. Um Benschops Potenzial optimal zu nutzen, sind wohl noch mehr lange Bälle im Spielaufbau die naheliegendste Lösung: Wenn er eines einbringen kann, dann ist es Physis. Mit Leon Andreasen oder Ceyhun Gülselam als „Zehner“, der dann den zweiten Ball attackieren kann, sollte das auch einigermaßen passen. Und über Pressing kann man ihm vielleicht in der Trainingswoche noch ein paar Sachen erzählen.
Nachtrag in eigener Sache:
Der Herr Kaliban, Co-Betreiber dieser Seite, fordert immer wieder: „Wir brauchen mehr kurze Texte!“ Ein irritierender Wunsch von jemandem, der selber nur mit Mühe daran gehindert werden kann, die komplette Sendezeit eines Hannoverliebt-Podcasts mit seinen eloquent vorgetragenen Vermutungen im Alleingang zu füllen. Aber um des redaktionsinternen Friedens willen nimmt Jaime, der andere Co-Betreiber von Niemals Allein, den Steilpass auf und etabliert ein neues Kurzformat: In voraussichtlich unregelmäßigen Abständen greifen wir uns einzelne Aspekte, interessante (Gegen-)Tore oder andere Auffälligkeiten aus dem letzten Spiel heraus und erklären so kurz wie möglich, was daran so interessant und auffällig war.
Jaime entlehnt seinen Kampfnamen übrigens von Jaime Sánchez Fernández, dem sensationellen spanischen Mittelfeldallrounder, der Anfang der 2000er für 96 kickte. Ein Teil der Faszination, die von ihm ausging, speiste sich daraus, dass niemand die richtige Aussprache seines Namens kannte. Wir auch nicht, aber so wie’s Herr Kaliban in besagtem Podcast aussprach, ist es auf jeden Fall falsch.
Fleißig und bescheiden ist er, der Artur, und durchaus wertvoll. Schön, dass ihr ihn einmal ins rechte Licht rückt; er wird ja immer gern übersehen (oder niedergemacht).
Wie’s aussieht, wird ihn wohl Mevlüt Erdinc am Samstag ersetzen.