„Fußball ist eben ein Ergebnissport“, heißt es. Wir glauben das zwar nicht, aber wir fügen uns, brechen die 96-Saison auf Tore und Gegentore herunter und bereiten ihre Entstehung grafisch auf. Trotz der Willkür, die aus der einen Chance eine unbedeutende Sequenz in der Sportschau und aus der anderen den Siegtreffer macht, lassen sich am Ende der Saison ein paar Erkenntnisse festhalten.
[Die hier aufbereiteten Werte haben wir selbst gesammelt und wurden für jedes Tor mit der größtmöglichen Sorgfalt, aber ohne Anspruch auf wissenschaftlichen Standards entsprechende Genauigkeit dokumentiert. (Aber: small n, statistische Methoden und Folgerungen sind also sowieso überwiegend nicht angebracht.) Darüber hinaus decken sich unsere Definitionen womöglich nicht mit den Kategorie-Begriffen großer Datenanbieter, Abweichungen bei der Anzahl der einzelnen Tor-Sorten sind möglich.]
Die Hinrunde: Frontzecks Plan geht nicht auf
In der Hinrunde legte 96 keinen guten Start hin und nistete sich frühzeitig in der unteren Tabllenregion ein. An der Ergebnissportart Fußball zeigte sich Hannover standhaft desinteressiert, selbst das Fußball-Verhindern gelang nicht im erhofften Ausmaß.
(…) Stabilität … schnelles Umschalten muss unser Weg sein (…) Ballbesitz ist was für die Bayern (…) – Michael Frontzeck vor der Saison
Michael Frontzecks Plan, zu dessen Umsetzung Dirk Dufner junge, deutsche Offensivsprinter mit rudimentärer Qualifikation im Nebenfach „Fußball“ sowie einen in die Tiefe gehenden Abschlussstürmer beschafft hatte, zerschellte an seiner Unausgegorenheit: 96 wollte kontern, hatte aber keinen Plan für die Balleroberung. Während sich das Pressing und die Konterstärke im Laufe der Hinrunde etwas besserten, blieben die schon gegen Ende der vorherigen Saison zu befürchtenden Defizite im Ballbesitzspiel bestehen. Die Folge: Wenn 96 das Spiel gestalten musste, war die gegnerische Abwehr selten ernsthaft gefordert. Da die Frontzeck-Elf knapp die Hälfte aller Abschlüsse von außerhalb des Strafraums abgab (Salif, halt einfach mal drauf!), blieben Zielers Torwartkollegen weitgehend beschäftigungslos. Die grafische Darstellung, nach welcher Vorgeschichte und aus welchen Positionen Hannover doch einmal zum Torerfolg kam, fällt dementsprechend übersichtlich und eindeutig aus:
Neun Tore nach dem gewünschten Muster in 17 Spielen sind für eine erhoffte Kontermannschaft nicht gut, zumal wir schon einen relativ weiten „Konter“-Begriff verwendet haben und beispielsweise auch den Gewinn eines zweiten Balls bei entsprechender gegnerischer Staffelung und Spieldynamik als „Konter“ haben durchgehen lassen. Außerdem gilt es zu bedenken, dass drei dieser Tore allein auf das Spiel gegen Ingolstadt entfallen. In den meisten Hinrundenspielen war also nicht viel mit Kontern. Die vor der Saison angekündigten Ballbesitzschwächen lassen sich ebenfalls recht gut ablesen: Zwei Tore aus dem geordneten Spiel, darunter eines, das sehr schnell und nach wenigen Stationen entstand. Die kurzzeitige Erfolgsphase Mitte der Hinrunde war wiederum auch auf Standardsituationen (Ecken, Freistöße, Einwürfe; für solche Treffer wird keine Zeit angegeben, sodass das Symbol eine Standard-Größe hat) zurückzuführen. Achja, außerdem: Distanzschüsse sind dumm. (Nur Kenan darf das. Weil er’s kann.)
Auch defensiv funktioniert wenig
Es gelang den 17 anderen Vereinen nicht, diese kümmerliche Ausbeute zu unterbieten. Und auch die zahlreichen Gegentore weisen zum Teil auf die spielerischen Schwächen der Hinrunde hin.
Die relativ großen und relativ dunklen Ballbesitztor-Symbole können als Indikator eines zugriffsschwachen, passiven Pressings verstanden werden. Außerdem sind die schnellen Kontergegentore mit wenigen Kontakten vor dem Abschluss oder sogar Ballverlusten/Fehlpässen als Vorbereitung (blaue Kontur) ein Indiz für einerseits schlechten Spielaufbau, andererseits geringe Ballsicherheit und schlechte Verbindungen ins Zentrum; Faktoren also, die dem leidgeplagten 96-Fan nicht unbekannt vorkommen dürften. Im Gegensatz zur Häufung an erfolgreichen Abschlüssen halblinks vor dem Tor ist die Tabellensituation am Ende der Hinrunde im Hinblick auf die Entstehung und Verteilung der Treffer eines ganz sicher nicht: Zufall.
Schaaf übernimmt – und auch sein Plan geht nicht auf
Als Thomas Schaaf zur Rückrunde den Trainerposten antrat, sollte alles besser werden. Neuer Trainer, neue Abschlüsstürmer, neue zentrale Mittelfeldspieler – was soll da schon schiefgehen? Am Ende der nur elf Spiele umfassenden Amtszeit musste die Frage eher lauten: Was hat eigentlich überhaupt funktioniert? Dabei hatte alles so klischeehaft-schön angefangen, dass die märchenhafte Rettung vor dem Abstieg fast schon unausweichlich wirkte. Schaaf, der Erfolgstrainer, der Offensivpapst mit leuchtender Vergangenheit, stellte sofort auf seine Lieblingsformation um. Als Hugo Almeida sich in seinem am Bauch leicht spannenden Trikot in den Strafraum schlich und den Ball nach einer abgefälschten Flanke unter den Giebel prügelte, schien alles aufzugehen. Ein herausgespielter Treffer, im eigenen Stadion, nur ein paar Minuten nach dem Anpfiff, vom neuen Wunderstürmer! Bis zum nächsten 96-Tor dauerte es dann einen Monat.
Drei Standards und ein Hugoal. Traurig.
Schaafs Stil setzt sich doch noch durch
Jedes Klischee speist seinen Erfolg aus einem Funken Wahrheit. Thomas Schaaf gilt als offensiv denkender Trainer, der die Defensivstabilität dem Fußballgott bereitwillig als Opfergabe darreicht, um am Ende mit vielen eigenen Toren belohnt zu werden. Lieber 5:4 als 1:0 gewinnen. Mit dem in der Winterpause zusätzlich inhomogenisierten 96-Kader konnte er diesem Ruf in Hannover nicht nur gerecht werden, sondern fügte ihm sogar noch ein neues Element hinzu: Wenig eigene Tore schießen und trotzdem ständig ausgekontert werden. Brillant.
Zwölf Quadrate, also zwölf Kontergegentore, das meiste davon sogar richtige Konter, also „Konter“-Konter: Wenige Stationen, schneller Abschluss. Selbst bei Nicht-Kontern musste sich der Gegner nicht lange mit dem Ball aufhalten. So traurig, dass es fast schon wieder lustig wäre, wenn es nicht eigentlich alles andere als lustig wäre.
Ungewohnt: Stendels Plan geht auf
Nach dem feststehenden Abstieg durfte sich Daniel Stendel bis zum Saisonende interimsweise* auf dem Cheftrainer-Sessel niederlassen. Und natürlich versprach auch der junge Trainer das übliche: Mannschaftliche Geschlossenheit, aktiv sein, schnell umschalten. Das Kuriose: Die Mannschaft konnte diese Vorhaben auf einmal doch umsetzen.
Gut, den Treffer von Hiroki Sakai in Ingolstadt (rechtes Strafraumeck) noch als Konter zu werten, geht vermutlich etwas zu weit (die Entstehungsgeschichte war ein gewonnener zweiter Ball in der eigenen Hälfte und anschließend zwei lange Diagonalbälle gegen eine zumindest am Ende des Angriffs fast geordnete Defensive… ein Grenzfall bei unseren Maßstäben). Aber, wohlgemerkt mit ein bisschen Glück und dem 96 wohlgesonnenen Zufall, sogar mit dem Ballbesitz wusste die Stendel-Elf phasenweise etwas anzufangen und erzielte zwei bemerkenswert Stationen-reiche Tore.
* 😉
Angriffspressing ist eine gute Idee…
…, die aber gerne noch vertieft werden darf. Unter Stendel kehrte endlich auch wieder ein kollektiv angelegtes Angriffspressing zurück nach Hannover. Damit konnte 96 vor allem gegen spielerisch ambitionierte Mannschaften (Gladbach, Bayern, mit Abstrichen Hertha) gut aussehen und auch ohne den Ball Spielkontrolle ausüben. An der Umsetzung und dem Verhalten in tieferen Pressingphasen muss allerdings noch viel gearbeitet werden. Die sehr mannorientierte Herangehensweise und das teilweise fast kopflose Aufrücken offenbarten immer wieder große Räume im Mittelfeld, die der Gegner schnell überbrücken kann. Hin und wieder führen solche Defizite zu Gegentoren.
Vier Standardgegentore in sechs Spielen sind ein bisschen ärgerlich. Noch ärgerlicher ist es, gegen Schalke (unter Breitenreiter!) über 49 Sekunden nicht an den Ball zu kommen und dem Gegner 15 Stationen am Stück zu gewähren.
Am Anfang war der Ballverlust
Aussagekräftiger als der Ort des Torabschlusses ist der Ausgangspunkt eines Angriffs, schließlich ist der zum Fußball spielen geeignete Bereich des Spielsfeldes verglichen mit der torgefährlichen Zone praktisch unbeschränkt. Somit sagen die Räume, denen ein am Ende zum Tor führender Angriff entsprang, am Ende wohl mehr über die Spielweise aus, als die Abschlusspositionen. Auch im Fall von 96 lassen sich Argumente für diese Annahme finden.
Ein bisschen überraschend: Daheim kontert’s sich leichter. Zumindest im Fall von Hannover 96. Das Fehlen von Balleroberungs-Mechanismen in der Nähe des gegnerischen Tores lässt sich aber auch hier erahnen (aber natürlich nicht belegen, schließlich sehen wir hier nur Tore, also einen sehr kleinen und nicht repräsentativen Ausschnitt der Offensivbemühungen): Die meisten Kontertore haben ihren Ursprung in der eigenen Hälfte. Und wer weit vom Tor entfernt ist, muss auch länger laufen. So konnten nur drei schnelle Angriffe nach weniger als zehn Sekunden abgeschlossen werden. Mirko Slomka gefällt das nicht.
Des einen Balleroberung ist des anderen Ballverlust
Wenig überzeugendes Pressing auf der einen Seite, wenig sattelfester Spielaufbau auf der anderen. Hannovers Spielweise (über weite Strecken der Saison verkürzt: „schlecht“) zeigt sich im indirekten Vergleich zur Konkurrenz (siehe vorherige Grafik) auch hier:
Die Umschaltangriffe der Gegner starten sehr viel häufiger in der Nähe des von Ron-Robert Zieler gehüteten Tores und benötigen dementsprechend auch weniger Zeit bis zum Abschluss. Vor allem unter Michael Frontzeck ist dieses Phänomen zu beobachten. In der Schaaf-Amtszeit verdeutlicht die Grafik eher die schlechte Absicherung im Ballbesitz: Die Konter fangen weiter in der gegnerischen Hälfte an, können aber auch über relativ wenige Stationen ausgespielt werden.
Angriffspressing ist eine sehr gute Idee
An Hand der Entstehungsgeschichte der Treffer aus dem geordneten Spiel bzw. gegen eine wie gewünscht formierte Defensive kann man vielleicht eine Erkenntnis andeuten: Den Gegner machen lassen ist nicht so gut.
Zusammen mit kurz ausgeführten Freistößen (gelb) spiegelt sich in der Darstellung der Ursprungszonen der Ballbesitz-Gegentore (rot) vielleicht eine gewisse Passivität im 96-Pressing wider: Man könnte um das 96-Tor herum ein schönes 4-4-2-0 drapieren, das die Ausgangs-Räume der herausgespielten Gegentore nicht berührt. Eine mögliche Konsequenz liegt dementsprechend darin, in der gegnerischen Hälfte mehr zu pressen. Es sieht so aus, als wolle Daniel Stendel dies mit 96 auch in der kommenden Zweitligasaison beherzigen. Im Gegensatz zu Pep Guardiola haben wir allerdings Zweifel daran, dass ein strikt mannorientiertes Angriffspressing in der zweiten Liga die – zumindest was die eigene Offensive betrifft – gewünschten Folgen bringt. Der nächste Artikel wird dieser Frage genauer nachgehen.
Danke – ganz großes Kino. Und Fortsetzung bereits angekündigt – ein echter Straßenfeger. Bei Frontzeck und Schaaf vermochte sogar ich es so zu sehen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich es eigentlich schon vorher so kommen sehen.
Frontzeck und Schaaf haben sich auf jeweils ihre Art als unbelehrbar erwiesen, haben auf Gedeih und Verderb stur ihren altbekannten Stiefel durchzogen. Ist zu hoffen, dass Daniel Stendel lernbereiter ist und einiges bei Magath und Rangnick gelernt hat und die Entwicklung des modernen auch die letzten 12 Jahre weiterverfolgt und mitvollzogen hat.
Stand 19. Mai sehe ich 96 nicht als Aufstiegsfavorit. Hoffentlich kommt Frankfurt nicht noch runter. Sehr wichtig: 96 muss den Scoutingbereich ausbauen. Martin Kind hatte das ja auch als Schwachpunkt erkannt. Ist da eigentlich irgendwas erfolgt in 2016?
Vor ein paar Wochen vermeldete 96:
„Im Scouting verstärken sich der Klub ab sofort mit Martin Przondziono. (…) wird sich vor allem auf zwei Schwerpunkte in seiner Arbeit konzentrieren – Aufbau Scouting Nachwuchsleistungszentrum und Lizenzmannschaft.“
Dazu kommen dann ja noch Möckel, der als Was-auch-immer-er-jetzt-wirklich-ist auch Spieler sichten wird, und Phillip Schwab, der bisher die traurige Aufgabe übernehmen musste, als Soloartist den Verein mit Wissen zu versorgen. Das wären dann 2,5 bis 3, wo bisher 1 bis 1,5 waren. Von der reinen Mitarbeiteranzahl her ist das ja immerhin ein Fortschritt.
Es ist mir etwas peinlich – ich habe DoPa automatisch auf Aufnahme gestellt, so dass ich reinschauen kann, wenn einer von 96 zu Gast ist.
Thomas Helmer ist seiner Selbstverliebtheit kann ich jedoch kaum ertragen.
Heute habe ich kurz reingeklickt und da hat einer der Gäste auf dieses Youtube-Video aufmerksam gemacht. Inhalt ist folgendes sehenswerte Referat Thomas Tuchels über seine Trainerarbeit: https://www.youtube.com/watch?v=pmKSmTMp-jQ
In der dazugehörigen DoPa-Sequenz gewinne ich einen vagen Eindruck, warum Leute wie Felix Magath oder Thomas Schaaf mit den Entwicklungen wohl nicht mehr so recht Schritt halten: https://onedrive.live.com/redir?resid=2288DC893B538AAC!1428&authkey=!AEhSCDFLipPlLQg&ithint=video%2cmp4