Köllner coacht Breitenreiter (ein bisschen) aus, aber Hannover gewinnt trotzdem gegen Nürnberg.
Köllners 4-3-3 breit…
Auch unter Andre Breitenreiter wiederholt sich bisher ein Muster aus der bisherigen 96-Saison: 96 hat die individuelle Qualität, der Gegner hat die Ideen. Wie schon einige Teams zuvor wartete auch der FCN mit einer cleveren defensiv-taktischen Anpassung auf und hielt 96 weitgehend von den torgefährlichen Zonen fern. Ihre vielleicht als 4-3-3 oder 4-3-2-1 oder am treffendsten 4-1-2-2-1 zu bezeichnende Grundordnung interpretierten sie im defensiven Mittelfeld sehr breit und auf die Flügel fokussiert, um den bevorzugen Aktions- und Initiationsraum im 96-Spiel besser abdecken zu können. Kammerbauer rechts und Löwen links neben dem zentralen Sechser Behrens unterstützten die beiden FCN-Außenverteidiger, die dafür größere Freiheiten beim Ausfüllen ihrer Mannorientierungen erhielten, wenn sie im Pressing sehr weit auf die 96-Außenverteidiger herausrückten. Die beiden Mittelfeldspieler orientierten sich derweil an den eingerückt stehenden oder einrückenden Flügelspielern Prib und Klaus, sodass alle Flügelspieler Hannovers mehr oder weniger aus dem Spiel genommen wurden. Auch beim Verteidigen von Tiefenläufen von Klaus oder Harnik auf Hannovers rechter Seite konnte sich der Nürnberger „Halbspieler“ (der wie gesagt weniger halb, sondern sehr breit spielte) an die Verfolgung machen, ohne dass so der Flügelraum freigeräumt wurde. Den Nürnberger Innenverteidigern half die defensive Präsenz der drei Sechser ebenfalls: Wenn sich Füllkrug oder (meistens) Harnik einmal kurz anboten, konnte ihr Herausrücken aus der Kette von Behrens oder dem jeweiligen äußeren defensiven Mittelfeldspieler abgesichert werden, sodass sich keine größeren Schnittstellen in der Abwehrlinie offenbarten. Im Prinzip hatte Nürnberg seine Defensivformation also nur an die eigene sehr mannorientierte und die sehr flügellastige gegnerische Spielweise angepasst und seine Raumbesetzung dementsprechend organisiert.
Aber nicht nur die defensive Orientierung und Staffelung, sondern auch das gesamte Pressingverhalten zeigte sich bei den Gästen stimmig und hinderte Hannover nach drei eher unsystematischen Torchancen zu Beginn (eine gut von Schmiedebach und Prib eingeleitete Umschaltchance, ein Standard, ein zweiter Ball am Strafraum) daran, offensiv gefährlich in Erscheinung zu treten. Nürnberg wechselte situationsbedingt zwischen einem aktiven und aggressiven Herausrücken ins Angriffspressing und, vor allem ab der dreißigsten Minute bis zur erweiterten Schlussphase des Spiels, einem gewöhnlichen tiefen Mittelfeldpressing mit der Sturmreihe auf Höhe der Mittellinie. Diese vorderste Reihe war jedoch in ihrer Zusammensetzung ebenfalls entscheidend für die Nürnberger Stabilität und das stockende Hannoversche Angriffsspiel: Mit Ishak, Kempe und Möhwald verstellten vorne drei Spieler die Passwege ins Mittelfeldzentrum und liefen die 96-Aufbauspieler ähnlich wie schon Union Berlin am Samstag an. Wenn sich zusätzlich zum anfangs oft und zwischenzeitlich seltener abkippenden 96-Sechser auch der zweite zentrale Mittelfeldspieler seitlich oder ballfordernder bewegte, rückte zudem FCN-Sechser Behrens heraus. Damit wurde auch deutlich, dass das Besetzen des Zentrums im Nürnberger Plan keine große Priorität besaß, da kein konstantes Bespielen des Zehnerraums durch Hannover zu erwarten ist. Mit verstellten Optionen im Sechserraum und dem engen Verfolgen der zurückfallenden 96-Außenverteidiger durch ihre Gegenüber war Hannover meistens der produktiven, kurzen Anspielstationen beraubt.
Daher auch kein „Nachlassen“ bei 96. Zufällige Häufung verschieden entstandener Chancen am Anfang, danach steht Nürnberg halt gut. #h96fcn https://t.co/h20T9STCfH
— Niemals Allein (@niemalsalleinDE) 4. April 2017
Nur nach Ablagen der Außenverteidiger zurück ins Feld (wenn sie nicht den langen Ball auf Füllkrug spielten) konnte 96 das etwas wacklig besetzte Zentrum nutzen und freier aufrücken. Pribs mitunter sehr weites Einrücken und die zunehmende Aktivität von Harnik im Ballfordern, in beiden Fällen die Reichweite der gegnerischen Mannorientierung übersteigend, stellten Entlastung und Unterstützung für Schmiedebach dar und verhalfen Hannover zur geordneter Präsenz im Angriff. Dort machte sich aber der wohl mit Füllkrugs Aufstellung verbundene Flankenfokus bemerkbar, der vor dem Strafraum für wenige vertikale oder diagonale Aktionen, sondern für das Anspiel auf den nachrückenden Außenverteidiger und die anschließende (gut zu verteidigende) Flanke sorgte. Mit einer kleinen Korrektur von Köllner, wonach sich Möhwald im Pressing etwas tiefer aufhielt, Behrens seine Position defensiver ausfüllte und die Kompaktheit wuchs, wurden diese ohnehin nicht konsequent genutzten 96-Ansätze ein wenig gekontert. Zwar stand Nürnberg dadurch insgesamt etwas tiefer, hatte mit der doppelten Flügelabdeckung und teilweise auch aufmerksamer Mitarbeit der Stürmer aber weiterhin defensive Kontrolle und hielt Hannover vom Tor fern.
… und eng zugleich
Zu eigenen Torchancen kam der Club dagegen erst in der letzten halben Stunde des Spiel mit vielen Flanken und Diagonalbällen in die durch nachrückende Spieler aufgefüllte letzte Linie gegen einen immer passiver werdenden und tiefer stehenden Gastgeber. In der Zeit davor zeigte die Köllner-Elf allerdings trotz mangelnder Effektivität auch gute Ansätze im Ballbesitzspiel, sodass sich ihre Überlegenheit in der zweiten Hälfte nicht nur in Spielstandseffekten und dem abwartenden Gegner begründen lässt. Wenn sie mit einem abkippenden Behrens (der später von Kammerbauer abgelöst wurde) trotz der Spielschwäche des links oft zu breit stehenden Bulthuis einmal geordnet aufbauen konnten, besetzten die weit aufrückenden Außenverteidiger allein die Breite: Bei den beiden Stürmern neben Ishak handelte es sich nämlich eher um eine bewegliche Doppelzehn, und nicht um offensive Flügelstürmer. Während sich Möhwald vor allem in der ersten Halbzeit weit zur Unterstützung gegen Hannovers im Vergleich zum Union-Spiel zumindest phasenweise aggressiveres und höheres 4-4-2-Pressing zurückfallen ließ um anschließend nachzurücken, driftete Kempe durch den Zwischenlinienraum und versuchte, die durchbrechenden Außenverteidiger in Szene zu setzen. Zusammen mit dem im Ballbesitz eher wie ein normaler Zehner agierenden Löwen kam der FCN so vor allem außen und in den Halbräumen zu harmonischen Staffelungen und konnte beispielsweise mit kurzen Weiterleitungen (oder Pick-and-Roll-haften Spielzügen) die Hannoversche Mittelfeldlinie durchbrechen.
Zu Abschlüssen kam der FCN wegen der insgesamt engeren Organisation Hannovers auf den Außenbahnen oder einfach der fehlenden Anbindung und individuellen Klasse ans/im Sturmzentrum zwar nicht, errichtete aber immer mal wieder Überzahlsituationen, weil Hannover auf die enge Spielweise des Nürnberger Mittelfelds nicht allzu gut reagierte und sein 4-4-2 relativ starr verschob. Nach Balleroberungen kam 96 andererseits so auch besser ins Kontern, was sich vor allem gegen den riskanter aufrückenden und bewusst schlecht abgesicherten Gegner in der zweiten Halbzeit mit der Führung im Rücken (bezeichnenderweise nach einem Einwurf und als Kammerbauer höher stand über die rechte Seite) bis zum jeweils letzten Pass durch Füllkrug mehrmals rechnete. Die eigenen Umschaltbemühungen der Gäste scheiterten jedoch meistens an eben jener erwähnten engen Orientierung der Offensivspieler, da die Außenverteidiger nicht rechtzeitig nachrücken und die 96-Spieler schnell genug zuschieben konnten. Mit Harnik auf dem rechten Flügel und dem Sturmduo Maier-Bakalorz in der Schlussphase musste sich Hannover noch den zahlreicher werdenden Attacken des Gegners erwehren, konnte aber trotz sozusagen taktischer Unterlegenheit einen weiteren Heimsieg einfahren.
„Auch unter Andre Breitenreiter wiederholt sich bisher ein Muster aus der
bisherigen 96-Saison: 96 hat die individuelle Qualität, der Gegner hat
die Ideen.“
Dass der Kader unter Stendel taktisch weitestgehend inflexibel ausgerichtet war, ist, meine ich, konsensfähig. Diesbezüglich setzte Stendel eigensinnig die Tradition von Frontzeck und Schaaf weiter. Leider habe ich keine Ahnung, wie viel ein neuer Trainer da in paar Trainingseinheiten ändern kann. Vermutlich eher wenig, da grundlegende Umstellungen im Spielsystem ja nicht mal zur der Winterpause vorgenommen werden.
Von der augenfälligen Aufstellung mal abgesehen, in der Anton, Karaman, Bech und Sarenren-Bazee in den beiden Spielen nicht mehr in der Startelf standen und Fossum nicht mehr im Kader. Gut, Sarenren-Bazee stand auch nicht im Kader – vermutlich wegen seines Knies.
Augenfällig scheint mir: Zu Stendels Zeit durfte man jederzeit damit rechnen, dass ein gegnerischer Spieler frei vor Tschauner auftaucht – zumindest das ist unwahrscheinlicher geworden. Womöglich geht Breitenreiter das rein pragmatisch an und will vor allem gegnerische Chancen unterbinden und setzt in der Offensive letztlich auf die individuelle Qualität des Kaders. Ob wir in dieser Saison noch einen akzeptablen Spielaufbau seitens 96 geboten bekommen, scheint mir mehr als fraglich.
Wie auch immer, mir wäre wohler, wenn Karaman und Anton zur Startelf gehörten.
„Wäre die Frage, ob der Club bereits vor Köllner dieses taktische
Vermögen in petto hatte oder ob Köllner das im Zuge der drei vorherigen
Spiele vermitteln konnte.“
Hatte er nicht, konnte er also offensichtlich schon.
Eine gegnerspezifische Anpassung des Pressings ist natürlich immer angenehmer und leichter zu vermitteln, als sich öfter neue Sachen für den Ballbesitz auszudenken (konkrete kleine Anpassungen wie zB Pässe in bestimmte Räume wird es aber auch bei 96 immer geben). Hannover ist fast immer in der Rolle des Gestaltenden, deshalb ist es klar, dass da nicht so oft was gänzlich anderes kommt. Aber die fehlende Reaktion auf die jeweilige mehr oder weniger überraschende Herausforderung der Gegner ist ja hier der Kritikansatz (gestern ein bisschen mit den Sechsern, aber das reichte nicht). Denn außer im Spiel gegen Kaiserslautern gab es glaube ich bisher von jedem Rückrundengegner eine recht klare Anpassung an 96.