Eine schwache 96-Anfangsphase gibt Anlass zur Sorge vor einer hohen Niederlage – aber kuriose Minuten durchbrechen die Dominanz der Bayern, die in der Folge Gnade walten lassen.
Bayerische Dominanz von kuriosen Minuten gebrochen
Hannover suchte sein Heil in der massiven 5-4-1-Defensive vor dem eigenen Strafraum, um die Bayern mit viel Personal hinter dem Ball, möglichst vielen Beinen vor dem Tor und möglichst engen Zuordnungen zum Gegner vom Tor wegzuhalten – im Prinzip die Quintessenz der Hannoverschen Defensivspielidee. Nur sporadisch, etwa nach einem missglückten Konter oder einem langen Ball nach vorne, rückte 96 in ein höheres 5-2-3-Pressing vor. Die Hausherren dominierten also natürlich den Ball und dank einer (ohne Tolisso als Flügelspieler) etwas konventionelleren, aber im Detail ordentlich abgestimmten Staffelung aus dem nominellen 4-1-4-1 heraus auch das Spiel. Die beiden 96-Ansätze hatten insbesondere in den ersten Minuten ihre Schwächen und ließen die Bayern in den ersten zehn Minuten zu drei Großchancen kommen: Wenn 96 tief stand, fehlte die Organisation vor allem auf den Flügeln, wo zum Beispiel das Herausrücken der Flügelverteidiger schlecht abgesichert wurde. Außerdem fehlte es Hannover mit tief verteidigenden Sechsern und manchmal sehr eng spielenden Flügelspielern im Mittelfeld an Präsenz für zweite Bälle und Passoptionen, um sich dem Münchner Gegenpressing zu erwehren. Hannover musste (und wollte vermutlich sowieso) daher sehr direkt in die Tiefe spielen und im Idealfall Füllkrug ins Dribbling gegen Boateng und Hummels schicken – das sorgte immerhin für ein, zwei lustige Szenen.
Das höhere Pressing Hannovers litt hingegen unter einigermaßen schwerwiegenden Kompaktheitsdefiziten, die unter anderem eine Folge des Herausrückens von Bakalorz waren. Die Halbräume hinter der ersten Pressinglinie standen weit offen, sodass sich Bayern mit flachen Steilpässen der Innenverteidiger oder mit Verlagerungen, vor allem von Halbraum zu Halbraum, sehr leicht befreien konnte. Mit dem höheren Tempo ihrer Angriffe entfachten die einrückenden Läufe von Müller auf der rechten Seite, die von Vidal in Richtung Tor und James im Rücken ergänzt und abgesichert wurden, ebenso Gefahr wie die Dribblings von Coman mit anschließendem Vorderlaufen von Rafinha auf dem linken Flügel. Mit diagonalem Passspiel kamen die Bayern so schnell zwischen die Linien und mit Schwung ins Angriffsdrittel. Aber auch wenn die Heynckes-Elf mit dem zurückfallenden James gegen das passivere 96 ruhig aufbaute, schafften sich Coman, Vidal oder James Platz, indem sie analog zum Aufrücken ihrer Hinter- und Nebenmänner in die Freiräume im Mittelfeld zurückfielen und den Platz öffneten, wenn 96 den Gegner auf dem Flügel zugeschoben hatte. Das war als Struktur aus Bayern-Sicht nicht auf höchstem Niveau, genügte aber für genug Kontrolle und Gegenpressingzugriff, um das Spiel zu beherrschen. Kleinere Probleme waren wie gewohnt eine etwas zu einseitige Entscheidungsfindung beim Zulaufen auf die Abwehrkette, indem Pässe und Dribblings zu oft nach außen gingen.
Die größten Probleme hatten die Hausherren aber beim Verteidigen der Tiefe, was 96 sehr genau in die Karten spielte. Sowohl die Abstimmung zwischen Vidal und Martínez, aber auch die zwischen den Innenverteidigern ging mitunter daneben und öffnete Laufwege in die Tiefe auf das Bayern-Tor zu. Das beste Element im 96-Angriffsspiel wusste diese Schwachstelle offenzulegen: Die physisch präsenten Stürmer Benschop rechts und Füllkrug mindestens halblinks zogen Aufmerksamkeit und Gegenspieler auf sich, sodass Klaus und Bakalorz mit Dynamik in die Lücken und gleichzeitig in Richtung Tor stoßen konnten. So kam Hannover zu zwei Offensivansätzen und nach etwas anderer Entstehung auch zu einem Elfmeter. Dass der Ecke zum Ausgleichstreffer der einzige, von Schmiedebachs Chip-Pass gut „vollendete“ Positionsangriff vorangegangen war, war insofern ein passender Kommentar zu dem in dieser Phase wilden Spiel mit schwindender Bayern-Dominanz.
Bayern wechselt sich schwach, trifft aber trotzdem
Sowohl die nachlassende Kraft bei 96 und vor allem Benschop, als auch die daher schwindende Notwendigkeit eines guten Bewegungsspiels sorgten dafür, dass Bayern dominant blieb, aber weniger Druck erzeugte. Die Münchener konnten jetzt die Räume auf den Flügeln und vor den 96-Sechsern einfacher anspielen und mussten deshalb weniger nach Möglichkeiten suchen, den Gegner auseinanderzuspielen. So wurde die Heynckes-Elf etwas faul in der Ballzirkulation und zeigte insgesamt zu wenig Kreativität, um den 96-Riegel am Strafraum zu knacken. Einzelne Chip-Pässe hinter die Abwehr sorgten für Gefahr, aber ein Champions-League-bedingter Wechsel durch Heynckes schwächte Bayern strukturell. Tolisso, der für Martínez kam, sollte die Vidal-Rolle ausfüllen, tat dies aber ebenso weniger gut wie Vidal jetzt die Martínez-Rolle spielte. Mit einem weniger klar strukturierten Mittelfeldzentrum wurde Bayern etwas ungeordneter im Angriffsspiel und zwischenzeitlich wieder sehr flankenlastig. 96 fand trotzdem noch weniger Entlastung als im ersten Durchgang und versuchte, dies mit Klaus als hängendem Stürmer und somit mehr Sturmpräsenz und Tempo in die Tiefe zu kompensieren – das asymmetrische 5-3-2 mit Harnik rechts gab Bayern aber natürlich die erwähnten Freiräume auf beiden Flügeln, um sich zu konsolidieren. Ansonsten blieben Kompaktheitsprobleme auf Seiten Hannovers ebenso bestehen wie Bayerische Torchancen. Auch die Umstellung auf ein 4-4-2 bei 96 nach der neuerlichen Führung für den FCB in der Schlussphase wusste dem insgesamt ordentlichen, in Details aber nicht unbedingt überzeugenden 96-Auftritt, dessen offensive Impulse eher von schlampigem Bayern-Verteidigen lebte, keinen weiteren Treffer mehr zu verschaffen.
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