Slomkas zweites Aus

Die für den Fall von Startschwierigkeiten angekündigte Geduld hielt zwölf Spieltage an: Zum zweiten Mal in seiner Trainerkarriere muss Mirko Slomka bei 96 vorzeitig gehen. Ebenso wie die Umstände anders sind, kann man auch andere Ursachen vermuten.

Slomka sucht und findet sporadisch

2013 lag das Problem – sehr verkürzt dargestellt – in der strategischen Klarheit und einer davon ausgehenden taktischen Einfalt: 96 hatte mit dem Ballbesitzspiel Probleme und hätte viel lieber weiterhin gekontert. 2019 sieht die Ausgangslage auf den ersten Blick vielleicht ähnlich aus: 96 hat wieder Probleme mit dem Ballbesitzspiel und würde vielleicht auch gerne mehr kontern. Aber in dieser Zweitligasaison hat 96 im Prinzip noch nie so richtig auf Konter gespielt. Zwar arbeitet Hannover jetzt schon seit einigen Wochen daran, nicht mehr so oft als Favorit in die Spiele zu gehen, aber als Absteiger wird der Mannschaft in der zweiten Liga natürlich trotzdem öfter der Ball überlassen.

Wie schon vor ein paar Wochen dargestellt hat sich 96 damit anfangs schwer getan, aber immer wieder in einzelnen Aspekten überzeugende Fortschritte gezeigt: Der Spielaufbau ganz hinten wurde mit der Einbindung von Zieler teilweise ordentlich umgesetzt, der Aufbau insgesamt konsolidiert oder 96 konnte Druck in die Tiefe aufbauen, indem nach langen Bällen auf die Stürmer energisch auf den zweiten Ball gespielt wurde. Aber auch in den ersten Saisonspielen genügten taktische Anpassungen der Gegner (z. B. die Fürther Manndeckung im Mittelfeld), um 96 so empfindlich zu stören, dass wenig bis nichts in Richtung des gegnerischen Tors entwickelt werden konnte. Der Übergang durch das Mittelfeld oder allgemeiner die Verbindung der Mannschaftsteile war mal passabel oder gut (z. B. mit schnellen Kombinationen über Albornoz als Linksverteidiger), funktionierte in anderen Spieler-Konstellationen und gegen andere Mannschaften aber nur sehr schlecht. Das eher instabile, etwas starr auf die Mannorientierung im Aufrücken ausgelegte Pressing fiel immerhin nur punktuell negativ ins Gewicht, sorgte aber natürlich auch nicht für Stabilität, zumal Slomka anfangs noch mit Fünferkettensystemen sein Glück versuchte und 96 damit vor allem auf den Flügeln immer wieder ins Wanken geriet (etwa gegen Hamburg oder Karlsruhe im Pokal).

Das neue Stamm-System

Mit den Verpflichtungen von Dennis Aogo und Marc Stendera in der folgenden Länderspielpause konnte sich dann aber mit dem 4-3-3 eine schon vorher in Ansätzen getestete Formation endgültig durchsetzen, die seither praktisch immer aufgeboten wurde. Mit Aogo war jetzt spät, aber immerhin noch rechtzeitig ein Ballverteiler und Rhythmusgeber in den Kader gekommen, der ihm vorher ziemlich deutlich gefehlt hatte, während Stendera als relativ vielseitiger und technisch starker Achter das kreative Element zu stärken versprach. Taktisch gesehen war es insofern naheliegend und lobenswert, dass Slomka nicht Prib aus der Stammelf zu nehmen, der sich einerseits in verschiedene Rollen einfügen kann und andererseits wegen seines Spielverständnisses und seiner Balancegeber-Funktion schon vorher unterbewertet wurde, sondern Kapitän Bakalorz. Zwei Achter auf dem Platz zu haben kommt dem Kader auch insofern entgegen, als er für diese Position oder Rolle viele verschiedene Optionen bereithält, die in den vorher verwendeten Systemen eher unausgeschöpft blieben.

Auf der anderen Seite wurde so neuer Bedarf nach halben oder halbgaren Lösungen produziert, weil für die zwei Flügelstürmer-Stellen nach Mainas Verletzung keine wirklichen offensiven Flügelspieler in Sicht sind – mit Teuchert traf Slomka aber auch dann noch meistens die richtige Entscheidung, weil vor allem seine Ballführung und -mitnahme im Tempo gut zu den Anforderungen dieser Position passt. Noch ineffizienter musste 96 dagegen durch das Festspielen des 4-3-3 mit seinen Linksverteidigern umgehen, derer drei zur Verfügung stehen, die alle unterschiedliche Auffassungen der Position mitbringen und somit viel Variation versprechen würden. Während die Entscheidung gegen Ostrzolek prinzipiell eine weitere gute von Slomka war, fand sich Jannes Horn bislang nicht richtig in die Rolle ein und war weder ein offensiv durchschlagskräftiger Linienspieler, noch eine besondere spielerische Hilfe.

Durch die Viererkette konnte wiederum das Potenzial nicht weiter abgerufen werden, das eine Aufstellung von Horn als linker Halbverteidiger in einer Dreier-/Fünferkette bedeuten könnte. Insofern ist Horns Ankunft bei 96 wesentlich ungünstiger getimt als die von Aogo und Stendera. Außerdem brachte die Rückkehr zu vier Verteidigern das alte Kaderproblem ans Licht: Einen (planbaren) Linksfuß für die Innenverteidigung hat 96 einfach nicht, sodass man sich nur aussuchen konnte, welche Art von Potenzial man mit Anton verschenken möchte. Strukturell wurde durch das 4-3-3 aber die defensive Anfälligkeit auf den Flügeln, vor allem in Umschaltsituationen, deutlich gemindert. Insgesamt kann man deshalb durchaus von einer richtigen und in den einzelnen Entscheidungen auch stringent durchgezogenen Anpassung von Seiten Slomkas sprechen, die unter den etwas schwierigen Bedingungen des Kaders aber einfach automatisch ein paar Ecken haben musste.

Taktisch gar nicht schlecht, strategisch aber unklar

Innerhalb des Systems fällt das Fazit eigentlich auch nicht so schlecht aus. Das gilt allerdings nur solange man die Unterscheidung zwischen dem Taktischen und dem Strategischen umgeht. Taktisch, also im Hinblick auf konkrete spielerische Aktionen, Abläufe und Mechanismen, kann man Mirko Slomka verglichen mit 2013 gar nicht so viel vorwerfen. Es gab in den meisten Spielen spezifisch auf den Gegner oder die wechselnden Aufstellungen abgestimmt wirkende und sich wiederholende Muster im Ballbesitzspiel, die auch in der Ausführung nicht schlecht waren, wenngleich sie nur selten eine Vielzahl an Torchancen zum Ergebnis hatten. Aber das Urteil der Planlosigkeit wäre für die meisten Spiele eher unangemessen.

Gegen Bielefeld und Nürnberg sollten es vor allem Rotationen auf den Flügeln sein, wo 96 im Vergleich mit den ersten Spielen auch weiterhin bevorzugt die eigenen Angriffe entwickeln wollte, mit denen die Mannschaft nach vorne kommen sollte.

Flügelrotation im Spiel gegen Bielefeld.

Was gegen Bielefeld weder gut noch schlecht funktionierte (gegen Uwe Neuhaus‘ gewohnt ballsichere Mannschaft war tatsächlich eher das Spiel gegen den Ball problematisch), scheiterte schon eine Woche später an der Anpassung des Gegners: Nürnberg versperrte mit einer breiten Fünferkette im Mittelfeld die Seiten und fing praktisch alle Versuche Hannovers, sich von außen zu lösen oder den Umweg über lange Bälle nach vorne zu nehmen, mit seiner sehr kompakten Formation auf. 96 hatte keine Hoheit über die zweiten Bälle und konnte wie schon so oft vorher keine strukturelle Überlegenheit herstellen, indem beispielsweise der Gegner tief in seiner Hälfte festgesetzt wurde und zur Reaktion gezwungen wäre. Aogo agierte zu tief und Stendera zu breit, zu ausweichend und zu vorsichtig, sodass die Präsenz hinter dem Ball fast zahlreicher war als die realistischen Optionen nach vorne. Das daraus folgende Spiel in die Breite fing Nürnberg mit dem breiten Mittelfeld mühelos ab.

Die vielversprechendsten Szenen gegen Nürnberg folgten diesem Schema: Anton dribbelt an und setzt damit den quasi einzig möglichen Impuls, der beim Gegner etwas auslösen kann.

Taktisch gesehen war Slomkas Reaktion auf dieses zähe Spiel aber wiederum gut: Gegen Dresden wurden die wesentlichen Schwachpunkte des vorherigen Auftritts konkret ausgebessert. Man kann argumentieren, dass der 96-Trainer durch die Verletzung Aogos zu seinem Glück gezwungen wurde, weil Anton von der suboptimalen halblinken Position ins Zentrum rückte und der spielstarke Elez in die Startelf rutschte, aber andererseits entschied er sich eben auch nicht für Bakalorz als Solo-Sechser. Gegen Dresden jedenfalls spielten die Achter viel höher und streuten bewusst Läufe in die Tiefe ein, was 96 gegen Nürnberg noch komplett abgegangen war.

Auch Anton positionierte sich nicht tief, sondern rückte sogar immer wieder weit auf und sorgte für mehr Präsenz vorne. Seine viel größere Reichweite und körperliche Robustheit hielt die Mannschaftsteile in allen Spielphasen deutlich besser zusammen, als Aogo es je könnte. Aber im Allgemeinen ging 96 bewusster mit seiner Formation und den taktischen Bedingungen des Spiels um, indem etwa die Flügelstürmer breit standen und Lücken für Läufe in die Tiefe öffneten.

Gegen Osnabrück schließlich gab es sogar einen auf das Mittelfeldzentrum ausgelegten Mechanismus im Aufbau zu bestaunen: Anton ließ sich wieder nicht zwischen die Innenverteidiger fallen, sondern Elez und Franke provozierten mit Querpässen ein Aufrücken von Antons Manndecker. Die Achter halfen wieder dabei, Osnabrück im Mittelfeld auseinanderzuziehen, sodass flache Anspiele auf Weydandt oder einen der Achter gelingen konnten, die sie direkt auf Anton ablegten.

Steil-Klatsch gegen Osnabrück, in diesem Fall (eher selten) von Franke auf Stendera statt von Elez auf Weydandt.

Solche direkten Flachpasskombinationen zeigte 96 vor allem im Angriffsdrittel auch gegen Karlsruhe oder gegen Osnabrück und (allerdings seltener) gegen Bielefeld. Punktuell kam 96 damit sehr gefährlich diagonal zum Strafraum, dort fehlte dann aber die letzte Aktion zum Tor. Wären die gekommen, hätten die genannten Spiele trotz nicht großartig anderer Leistung einen ganz anderen Eindruck hinterlassen und die Stimmung insgesamt wäre wohl anders.

Dass sich 96 aber auch mit diesen taktisch also gar nicht schlechten Auftritten meistens auf die Flügel als einzig realistische Angriffsroute festlegte, war einerseits in den konkreten Fall einigermaßen zu verschmerzen (etwa gegen Dresden), deutete andererseits aber auch immer auf das tieferlegende Problem hin: 96 gelang es nie, wirklich und strukturell dominant aufzutreten. Diese beschriebenen Mechanismen oder Spielzüge waren für sich genommen nicht schlecht, ebenso wie es zum Beispiel eine gute Abstimmung zwischen den drei zentralen Mittelfeldspielern oder den Flügelpärchen gab. Aber da es Slomka von Anfang an nicht gelang, einen klaren strategischen Überbau zu erarbeiten, blieben die guten Ansätze und ordentlichen Ideen immer Stückwerk und voneinander gelöste einzelne Abläufe. Sobald einer von ihnen nicht funktionierte gab es keine Ausweichmöglichkeit, wenn das Spiel eine Anpassung verlangt hätte gab es keine abrufbaren Prinzipien, an denen sich die Mannschaft entlang orientieren hätte können. Das hohe Zustellen des Gegners, das auf dem Papier der Idee eines Dominanzanspruchs am nächsten kommt, war entweder nicht so relevant, weil 96 zu viel Ballbesitz hatte, oder es war eben in den Details nicht gut genug abgestimmt, um eine Grundstabilität zu besorgen, von der ausgehend 96 den eigenen Zugriff aufs Spiel hätte herstellen können.

Nur gegen Regensburg deutete sich mit dem druckvollen Spiel auf zweite Bälle ein Ansatz an, der bei konsequenter Fortführung zu so etwas wie einer klaren Identität hätte werden können. Der wurde danach aber nie wieder so klar beschritten, dass mehr daraus werden konnte. Das wäre eine vollständig denkbare Lösung gewesen, denn anders als oft behauptet geht es gar nicht so sehr um den Ballbesitz an sich, der besonders gut sein müsse, sondern es geht um die Klarheit im Ansatz und darum, dem Gegner einfach voraus zu sein. Aus dem Aufbau heraus wiederum deutete 96 nie an, den Gegner aktiv mit einer dominanten Positionsstruktur kontrollieren zu wollen. Das vorrangige Symptom dieser Krankheit lässt sich selbst in den ausgewählten, taktisch ja guten Szenen oben erkennen: Die Außenverteidiger sind eigentlich nie wirklich aktiv eingebunden, erfüllen eher stabilisierende oder unterstützende Rollen und rücken fast nie mal riskant auf, ohne abgesichert zu werden (siehe Bielefeld-Beispiel). Diese nirgends richtig von klar ersichtlichen Prinzipien oder übergeordneten Ideen zusammengehaltenen Einzel-Maßnahmen hatten dann auch zur Folge, dass beispielsweise das Gegenpressing nach Ballverlusten nie so stark entwickelt wurde, dass sich daraus ein Dominanzanspruch hätte ableiten lassen können (das war – damals wenig beachtet – in Slomkas erster Amtszeit übrigens verhältnismäßig stark). Während 96 also in den einzelnen Spielphasen punktuell überzeugen konnte, lag das Hauptproblem – und damit (hoffentlich) der Grund für Slomkas Entlassung – zu einem großen Teil in der Unklarheit darüber, was zwischen den Spielphasen passieren soll und wofür sie eigentlich da sind. In der Übergangsphase, in der sich 96 als Verein befindet (und die ja eigentlich zaghaften Anlass zur Hoffnung bereithält, 96 verschleiert das nur ständig selber), spielte das Slomka-Team also auch genau so, nämlich wie in einer Übergangsphase. Nötig ist aber das genaue Gegenteil, damit sich der Übergang nach oben und nicht nach unten vollzieht.

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