Den ersten Pflichtspielauftritt der neuen Saison legte Hannover 96 im DFB-Pokal auswärts bei Hessen Kassel hin. Nach dem erneut umfangreichen Umbruch im Kader und mit der erneut geänderten spielerischen Ausrichtung stellte die Begegnung gegen den Regionalligisten eine Woche vor dem Ligastart eine erste ungefähre Standortbestimmung dar. Die in der wenig berauschenden Vorbereitung gründlich einstudierten Defizite im Ballbesitz wurden gegen kompakten Underdog erwartungsgemäß sichtbar.
Zaghafte Bewegung und lange Bälle gegen kompakte Kasseler
Wie in der ersten Runde des Pokals üblich, sah sich der Bundesligist einem kompakten und eher defensiv ausgerichteten Außenseiter gegenüber. Gegen die allerdings wirklich nicht tiefstehenden Gastgeber aus der Regionalliga war 96 im Spielaufbau gefordert und musste nach spielerischen Lösungen suchen. Die Kasseler positionierten sich in einem 4-1-4-1 um die Mittellinie herum. Stürmer Comvalius versperrte passiv den Sechserraum, während der linke Achter etwas tiefer blieb und die offensivere Ausrichtung seines rechten Gegenübers balancierte. Zu Beginn kippte Salif Sané idiotischerweise zentral zwischen die Innenverteidiger ab und nahm so Zieler aus dem Spiel. Nach einiger Zeit legte er dies weitgehend ab und verfolgte wie Schmiedebach den Ansatz, sich seitlich im Halbraum zu positionieren. Von dort folgten von den 96-Aufbauspielern viele lange Bälle auf die Flügel, ob longline oder diagonal. Dort wurden Prib etwas überraschend rechts und Klaus links aufgeboten. Mit den hoch aufrückenden Außenverteidigern sollte auf den Außenbahnen der Durchbruch gelingen. Schmiedebach stieß in den besseren Phasen des ersten Durchgangs halbrechts weiter in den Angriff vor und hielt sich dort für kurze Passwege bereit, während Sané später noch ein paar vertikale Sprints in die letzte Linie einlegte – ausgerichtet auf das sehr direkte und hohe Spiel in die Spitze. Gelegentlich wurden die beiden Hannoverschen Sechser kurzzeitig mannorientiert verfolgt, was die Roten vor allem über die rechte Seite wenige Male nutzen konnten. In Andeutungen überlud Hannover ein paar Mal im Aufbau und Ballbesitz die rechte Spielfeldseite und konnte so mehr Druck auf die Abpraller nach den langen Zuspielen ausüben oder kurz kombinieren. Wirklich gefährlich wurden die Niedersachsen so aber auch nicht.
Der Regionalligist aus Kassel baute sein Spiel mit einem abkippenden Sechser und einem recht beweglichen rechten Achter auf, verlegte sich allerdings auch auf viele lange Bälle auf die Flügel. Nach einem der vielen Angriffe über Hannovers rechte Seite kamen die Gastgeber so auch zur ersten Chance des Spiels, doch Zieler vereitelte den Rückstand. Kurz darauf schenkte Sané den Hessen die nächste gute Torchance. Wenige Minuten später musste ein Standard für die Führung des Favoriten herhalten. Den abgewehrten Freistoß brachte Klaus erneut vors Tor, wo Sané seine Größenvorteile ausspielte und einköpfte. In der Folge hatte Kassel weiterhin mehr vom Spiel und erarbeitete sich nach langen Bällen noch zwei weitere Abschlusschancen. Hannover litt bei den wenigen von Schmiedebach erzwungenen Umschaltgelegenheiten ein wenig unter der inversen Flügelbesetzung und kam nur noch nach schönen Nadelspieler-Aktionen von Karaman zu ordentlichen Ansätzen. Insgesamt mangelte es 96 aber wie bereits in den angeblich unbedeutenden Testspielen an Grundsätzlichem: Im Spielaufbau gab es viele sinnlose lange Bälle zu sehen, die Flügel wurden viel zu stark bespielt und das Zentrum verwaiste. Dabei gab es in Phasen der ersten Halbzeit durchaus gute Bewegungen von Prib, Schmiedebach und seltener Karaman in Richtung des Zentrums zu sehen, bei denen produktiveres Spielen möglich gewesen wäre. Im Pressing agierte 96 recht unkompakt zwischen Sturm und Mittelfeld, was sich aber wegen der langen Bälle wenig auswirkte.
Vertauschte Rollen und getauschte Seiten
In der zweiten Halbzeit bot sich ein etwas überraschendes Bild, indem die unterklassigen Hessen den Bundesligisten weit in die eigene Hälfte drängten und das Spiel dominierten. Mit etwas tieferen Außenverteidigern und etwas behutsamerem Aufbauspiel hielten sie den Ball länger in den eigenen Reihen. Mit der 4-3-3-Staffelung im Angriff suchten sie die horizontal beweglichen Stürmer und spielten einige Bälle hinter die Abwehr der Roten. Hannover stand nun tiefer und lauerte offenbar auf Konter zum 2:0. Bei einem Viertligisten. Die Flügelspieler ließen sich bei gegnerischem Ballbesitz weit zurückziehen, was das Kontern zusätzlich erschwerte. Das Spiel wurde nun offener und Kassel trat weitgehend gleichwertig mit dem Erstligisten auf. Mit der Einwechslung des Neuzugangs Saint-Maximin für den schwachen Klaus wurde die inverse Flügelbesetzung aufgegeben. Prib spielte nun über links, Karaman griff über die rechte Seite an. Saint-Maximin nahm eine Zwischenposition als zweiter Stürmer und halbrechter offensiver Mittelfeldspieler ein. Die Hannoverschen Konter wurden dadurch etwas erleichtert, doch wegen der tiefen Ballgewinne und der etwas besseren Absicherung durch Kassel entstand wenig Torgefahr. So plätscherte das Spiel seinem Ende entgegen und Manuel Schmiedebach ließ sich wegen akuter Unterforderung auswechseln. Trotz einiger Änderungen auf Seiten der Gastgeber schwanden die Kräfte beim KSV. Der eingewechselte Sobiech vergab kurz vor Schluss noch eine von Prib erzwungene Umschaltgelegenheit, bevor Karaman seine etwas unscheinbare, aber insgesamt gute Vorstellung mit einer schönen Einzelaktion krönte.
Die gewissenhaft einstudierten Defizite Hannovers im Ballbesitz wurden über die gesamte Partie erneut deutlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich an den strukturellen Unzulänglichkeiten etwas ändern wird – zu eindeutig wiederholen sich die gesehenen Muster seit Frontzecks Amtsantritt in sämtlichen Spielen. Gegen Darmstadt darf ein ähnliches Spiel erwartet werden, bei dem allerdings nicht nur die Qualität des gegnerischen Pressings höher einzuschätzen ist. Wahrscheinlich wird dann irgendwann „Saint-Maximin für die Startelf!“ gefordert, aber seine generelle Spielweise und vor allem seine ballfernen Bewegungen sind noch viel zu unausgereift, als dass er 96 spürbare Impulse geben könnte.
Irgendwie ganz schön bitter. Als Bewohner des „schönen“ Kassels hat man sich schon sehr auf das Spiel gefreut. Mitgenommen hat man zum größten Teil die Erkenntnis, dass es wohl das ganze Jahr nichts zum Feiern geben wird. Das Schlimmste am Spiel waren aber sicherlich die Fans:
„MAXIMIN IST DER BESTE“, „KARAMAN KANN GAR NICHTS“, „LIEBER ZU 10. ALS MIT DEM TÜRKEN“ „ERDINGER RAUS“ „KLAUS IST DER EINZIGE VERNÜNFTIGE SPIELER“.
Ich weiß schon gar nicht warum man alibimäßig Spieler ins Zentrum in der offiziellen Aufstellung hat. Warum nicht einfach so:
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—-X—–X—– (man braucht ja 2 Stürmer! und keinen aus der Türkei)
Mein Beileid (nicht für den Wohnort, sondern für das Stadionerlebnis).
Aber „Lieber zu zehnt als mit dem Türken!“ kennen wir ja schon… (wobei bisher eher die Aussage war: „Wenn wir mit dem Türken spielen sind wir zu zehnt“…)
Ganz ohne zentrale Mittelfeldspieler wäre aber auch doof. Dann kann sich im Spielaufbau schließlich niemand mehr vier Meter vor Zieler stellen. Und ohne abkippenden Sechser, das wäre ja nun wirklich schrecklich unmodern!!! (hust…)
[…] 4. Hannover 96 holte bei Hessen Kassel einen 2:0-Auswärtssieg, trotz oder wegen überraschenderweise inveser Flügelspieler und eines gelegentlich idiotisch abkippenden Salif Sané. Ein taktisch geprägter Spielbericht bei Niemals Allein. […]
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