Wir haben gelernt, dass gewissenhafte Diskussionen über die wahrscheinliche Wechselwirkung von Christian Gentners Aufrücken im Pressing mit Kenan Karamans dynamischer Freiraumnutzung wenig bringen: Am Ende denkt sich einer der beiden Trainer völlig aus dem Nichts irgendwas Verrücktes aus, sodass die mühevolle Vorarbeit hinfällig wird. Und da spätestens das letzte Wochenende mit einem Sarenren-Bazee, der im Spiel ungefähr neun haarsträubende Ballaktionen abgeliefert hat, aber mit einer Kopfballbogenlampe, einem Abstauber und einer Torvorlage zum Matchwinner wird, sogar sowas wie die Existenz verschiedener parallel existierender Universen wahrscheinlicher erscheinen lässt, unternehmen wir in dieser „Vorschau“ gar nicht erst den Versuch, uns dem Aufeinandertreffen der beiden großen Aufstiegsfavoriten mit einem realistischen Blick zu nähern: Wir (wie üblich mit vfbtaktisch.de) übernehmen das Verrückte aus dem Nichts gleich selber. Dann kann man ja nur noch enttäuscht werden…
Fußballpotenzial maximieren, Spiele gewinnen
Auch in einem dieser unendlichen Paralleluniversen muss es einen VfB Stuttgart geben, der auf den guten spielerischen Ansätzen nach dem frühen Trainerwechsel erstmal nicht weiter aufbaut, sondern zu einer eher konservativen Stabilitätsausrichtung zurückgekehrt ist. Demgegenüber steht das Meta-96, das das technische, taktische Potenzial seiner Offensivspieler und die Vielseitigkeit seiner Defensivakteure in ein riskantes, aber auch vielversprechendes Konstrukt zu bringen vermochte. Mit viel Ballkontrolle, flexiblem Pressing und einem Angriffsspiel, das trotz eines quasi fehlenden Außenstürmers kaum ausrechenbar ist, verfügt diese Mannschaft über die Klasse, sich auch gegen einen individuell sogar noch besser besetzten Gegner in einer ansonsten eher lebensfeindlichen sportlichen Umwelt behaupten zu können.
Mit seiner asymmetrischen 3-1-4-2-Grundformation legt Meta-96 den Grundstein für einen dominanten Fußball, der seinen sehr offensiven Gedanken um eine wichtige Absicherungsvorkehrung ergänzt. Im Endeffekt stellt diese Spielweise nur eine Variation der von 96 bekannten 4-4-2-Systematik mit viel Breite, Sturmpräsenz und offensiven Spielerrollen dar, das zwar viel Wucht nach vorne verspricht, aber auch einige Räume nach hinten offenbart: Die Formation wird sozusagen nach links gedreht, aber der rechte Flügelstürmer wird in einen zusätzlichen zentralen Mittelfeldspieler umgewandelt; ein meistens kaum eingebundener zweiter Spieler in der ballfernen Breite wird zu einer zusätzlich vor der Abwehr positionierten Absicherung. Dadurch ergibt sich auch zwangsläufig eine Konzentration auf die (halb-) linken Spielfeldbereiche, die praktischerweise schon in der Vergangenheit immer wieder als Ausgangsort interessanter Synergien und Kombinationen (vor allem zwischen Albornoz und Karaman und unabhängig davon mit Sobiech) auffällig wurden.
Mit mehr Spielern im Zentrum und vor allem mehr Spielern mit dauerhaft möglichem Zugriff auf den Ball kann Meta-96 nicht nur eine stabilere, wenn auch engmaschigere Ballzirkulation, sondern in der Konsequenz eben auch ein effektiveres Gegenpressing zeigen. Die offensiven Möglichkeiten werden folglich nicht wesentlich minimiert, die defensive Stabilität wird aber ausgebaut. Gewisse Mechanismen im Aufbau können sogar durch einfache Umformbewegungen beibehalten werden, sodass auch stabile Abläufe abrufbereit zur Verfügung stehen.
Die eingesetzten Spielertypen werden ihren Rollen entsprechend angepasst: Mit Schmiedebach, Fossum und Karaman bilden drei Spieler das Herz des Offensivspiels, die in unterschiedlichen Ausprägungen Ballsicherheit, Kreativität und strategische Fähigkeiten in die Waagschale werfen und enge Situationen gut auflösen können. Mit Albornoz (als Halbverteidiger ganz und gar keine Schnapsidee), Sané und Anton sind aufbaustarke und zum Teil umsichtige Akteure für die Spielauslösung zuständig, die sich zudem auf unterschiedliche Art auch in Zeitnot behaupten können. Das Sturmduo Sobiech und Harnik kann in einem aktiven und produktiven Mannschaftsverbund seine sehr gute Harmonie ausspielen: Beide können Freiräume im Zwischenlinienraum nutzen, agieren beweglich und mannschaftsdienlich, teilen sich aber insgesamt das Unterstützen (eher Sobiech) und das Herstellen von Durchschlagskraft (eher Harnik) flexibel auf. Beide Stürmer können viele Aufgaben zufriedenstellend erfüllen und vor allem auch die Rolle des jeweils anderen, gerade anderweitig eingebundenen Partners gut übernehmen. Bakalorz als intensiv nachsetzender Zweikampfspieler bringt das robuste Element in die Nicht-Ballbesitzphasen, während Sorg eine komplizierte und für ihn zwar nicht optimale, aber zurückhaltend interpretationsbedürftige und daher am ehesten zu ihm passende wichtige Balancefunktion auf der rechten, offensiv nur punktuell angespielten Seite erfüllt. Das Herauspendeln von Harnik bietet die Möglichkeit, diese nur schwankend besetzten Räume mit seinen teils unorthodoxen Bewegungen zu füllen und verspricht andererseits interessante Impulse mit dem diagonal nachrückenden Schmiedebach, der von Harniks guten Ablagen profitieren und dem Österreicher in der Folge seine Schnittstellenläufe ermöglichen kann.
Gegen den VfB: Raum und Zeit im Fokus
Das Stuttgarter Spiel zeichnet in den letzten Wochen eine zwischenzeitlich schon überwunden geglaubte Zweiteilung aus, die das Ergebnis einer Rückkehr zu einer eher pragmatischen Strategie darstellt. Im nominellen 4-1-4-1 der Schwaben lässt sich für gewöhnlich ein klarer Bruch zwischen den zurückhaltend positionierten Abwehrspielern, dem eher tief im Aufbau unterstützenden Sechser und den kollektiv hoch im Feld positionierten Offensivspielern erkennen. Mit dem Ball kann der VfB das Zentrum nur schlecht bespielen, weil vor allem der als Achter aufgebotene Kapitän Gentner häufig in den Angriff vorrückt oder diagonal nach außen durch die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenverteidiger sprintet und als Verbindungsspieler ausfällt. Die beiden meistens breit aufgestellten und auch zumindest im Fall von Asano recht eindeutig auf die Tiefe konzentrierten Flügelspieler entfalten ihr großes Offensivpotential daher meist nur nach aufgesammelten zweiten Bällen oder einfachen longline-Angriffen, wenn die Stuttgarter vom Gegner etwas mehr unter Druck gesetzt werden und das Spiel auf der jeweiligen Ballseite beschleunigen. So entsteht insgesamt ein nach vorne nur mittelmäßig produktiver Flügelfokus, der aber wegen der hohen Qualität der Einzelspieler und dem zahlreichen Offensivpersonal natürlich immer wieder für durchschlagskräftige Momente sorgen kann.
Kritische Momente im Pressing
Dieser Spielweise mit einem hohen Pressing zu begegnen, ist aus der beschriebenen Grundordnung nicht ohne gewisse Probleme möglich: Das eigentlich erstrebenswerte Angriffspressing müsste einerseits die sehr aufbaustarken und passsicheren Verteidiger genügend stören, aber andererseits berücksichtigen, dass mit den drei Stürmern und mindestens einem hohen Achter einige Gegenspieler an der letzten Stuttgarter Linie versammelt sind. Eine gute Mischung aus diesen beiden wichtigen Punkten herzustellen ist nicht einfach, selbst wenn das kaum bespielte Zentrum weniger stark in den Blick genommen würde. Die Fünferkette, die mit dem vor allem letzte Saison oft gesehenen Zurückfallen von Karaman recht problemlos gebildet werden kann, würde im Zusammenspiel mit dem tiefen Bakalorz das Auffangen der großen Stuttgarter Offensivpräsenz auf jeden Fall gewährleisten. Mit den beiden 96-Achtern wäre außerdem auch eine gute Zuordnung zu den gegnerischen Mittelfeldspielern möglich. Doch auf der Kehrseite steht auch der große Abstand zwischen den Hannoverschen Flügelspielern und den tiefen Stuttgarter Außenverteidigern. Die Stürmer befänden sich selbst mit einem aufgerückten Achter konstant in Unterzahl, sodass die hohe Grundposition der Mannschaft ohne sichere Möglichkeiten für frühen und adäquanten Druck auf den Ball gegen die schnellen VfB-Flügelspieler zu einem kleinen Bumerang werden könnte. Chip-Bälle auf die Außenverteidiger zum Beispiel von Torwart Langerak und anschließend schnelle Angriffe wären für 96 nur schwer zu unterbinden, während das kaum bespielte Stuttgarter Zentrum mit dem 5-3-2 „zu gut“ abgedeckt wäre (obwohl die vermutliche Rückkehr von Hosogai auf die Sechserposition das gesamte Stuttgarter Spiel in allen Spielphasen erheblich verbessern müsste und somit auch die Bedeutung des Zentrums etwas steigen sollte).
Als einmalige Gegneranpassung wäre es also keine schlechte Idee, die Entfernung der gesamten Mannschaft vom eigenen Tor zumindest punktuell etwas zurückzuschrauben und auch die Aggressivität des Anlaufens herunterzufahren. Mit einem tieferen und weniger auf die Gegenspieler aufrückenden 5-2-1-2 ließe sich die gegen die flügellastigen Stuttgarter anfällige einfache Flügelbesetzung etwas besser kompensieren, indem die VfB-Innenverteidiger gar nicht gepresst würden, da die beiden 96-Stürmer eher die Passwege auf die Außenverteidiger belauern und sie schneller von innen unter Druck setzen würden. Mit Schmiedebach als aufmerksamem und wendigem Zentralspieler könnten Hosogais Kreise eingeengt werden, während die restliche Mannschaft zur Ballseite verschiebt. Passenderweise könnte dann Karaman eine aktivere Rolle im Herausrücken übernehmen als Sorg, dessen grundsätzlich abwartendere defensive Positionierung gut zu Asanos linearer Offensivspielweise passt.
Das Zentrum öffnen und die Freiräume nutzen
Da Meta-96 aber natürlich selber den Großteil des Ballbesitzes für sich beansprucht, sollten die kleineren Schwierigkeiten im Pressing für das Spiel insgesamt beherrschbar bleiben. Die Zerissenheit des VfB, die sich für das 96-Pressing zu einem kleinen Problem entwickelt, stellt für das eigene Offensivspiel einen vielversprechenden Ansatz dar: Denn auch gegen den Ball offenbart die Wolf-Elf gewisse Schwächen im Zentrum, wenn sich aus dem zudem recht passiven 4-1-4-1 der nur schwer zu bändigende Achter Gentner herausziehen lässt. Dem einzigen Sechser bleibt dann die Kontrolle des großen hinteren Zwischenlinienraum alleine überlassen. Er muss sich meist weit auf eine Seite herüberbewegen, da sich vor allem Mané auch nicht mit großem Engagement im Rückwärtsgang hervortut. Unter den weiträumigen Läufen des Sechsers leidet dann der Schutz gegen Durchbrüche hinter die Abwehr. Darüber hinaus tritt Stürmer Terodde außerhalb des Strafraums relativ lethargisch auf und ist in seiner Pressing-Positionierung ebenfalls leicht zu manipulieren, sodass sich immer wieder Räume zwischen ihm und dem Mittelfeld aufziehen lassen, durch die das Spiel ohne Druck verlagert werden kann und die eine zusätzliche Schnittstelle im Mittelfeld offenlegen. Für 96 geht es also unter anderem darum, mit dem eigenen Aufbau das eher schlecht balancierte Aufrücken der Stuttgarter aus ihrer passiven Formation zu provozieren und anschließend zielstrebig durch die freien Räume zu kombinieren, um sich vor der Abwehr festzusetzen und den Weg zum Tor zu suchen.
Um die Konterstärke der Schwaben einigermaßen zu kontrollieren, könnte man mit einem tief absichernden Sorg als rechtem Breitengeber im Aufbau operieren, der die Ballzirkulation in der ersten Reihe unterstützt und einen Mittelfeldspieler mehr innerhalb der gegnerischen Formation erlaubt. Gegen die früher oder später herausrückenden Terodde und Gentner müssten sich Sané und vor allem Albornoz gut lösen und mit dem möglichst zuverlässig angebundenen Fossum halblinks oder über Bakalorz zwischen Terodde und dem Mittelfeld durch die Lücken nach vorne spielen können. Der einrückende Karaman und Schmiedebach im Zusammenspiel mit Sobiech haben dann um den Stuttgarter Sechser herum genug Optionen, entweder sofort durchzubrechen, oder erst auf die nachrückenden Fossum und Albornoz zu warten.
Dominanz maximieren, Spiel gewinnen
Wenn es der Mannschaft also gelingt, mit Geduld und guten Bewegungen im defensiven Mittelfeld den Ball so lange in den eigenen Reihen zu halten, bis der VfB in seinem zurückhaltenden Pressing Räume im Zentrum öffnet, können sich die technisch starken und in engen Räumen sicheren 96-Mittelfeldspieler frei entfalten. Weiter vorne führt die Versammlung guter Fußballer in einer Kombination, die ihre natürlichen Bewegungen und Entscheidungsmuster passend zusammenführt, dann fast zwangsläufig zu Offensivgefahr, während die konzentrierte Angriffsstruktur eine tragfähige Versicherung für den Fall des Ballverlustes darstellt: Die ganzheitliche Überlegenheit in der bewusst gewählten Enge überwiegt den Nachteil der überwiegend unvollständigen Raumnutzung. Kann also praktisch gar nicht schlecht werden.
Leider kann man aber auch aus dem Stuttgarter Kader vielversprechende Varianten basteln, die zwar nie auf den Platz gebracht werden dürften, aber eine unangenehme Herausforderung für das Standard-96 aus unserer ungenügenden Zweitligawelt darstellen würden, wie das lesenswerte Gegenstück zu dieser undefinierbaren Textsorte bei vfbtaktisch beweist.
Mal schauen, welcher Trainer etwas weniger weit hinter unseren utopischen Gedankenspielen zurückbleiben wird.
Ich muss wiedermal einsehen, dass ich entschieden zu wenig vom Spiel verstehe.
Ich freue mich zwar, dass 96 gewonnen hat – egal wie. Aber spielerisch fand ich das ne Zumutung. Martin Kind doziert gerne, dass Fußball ein Ergebnissport sei, das sehe ich als Zuschauer nicht so. Ich bin nicht auf ewig bereit, meine Zeit auf das Beiwohnen eines solchen Gekickes zu verschwenden. Kein Spielaufbau, Spielmacher waren Tschauner mit seinen Abschlägen und Sane mit langen Bällen aus der Position des letzten Mannes. Keiner, der sich freilief, keine Anspielstationen, immer wieder Rückpässe zum Torhüter.
Aber alle reden von einem guten Spiel, der Dominanz von 96, von einem verdienten Sieg. Gerade die zweite Halbzeit war ich schwer genervt von dem Gebotenen. Wenn man sich auf der linken Seite dann auf engstem Raum festpielt, frage ich mich altbacken, spielt man denn im heutigen Fußball grundsätzlich keine langen Bälle mehr auf die andere Spielseite? Früher gab’s das.
Hier die drei Tore:
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