Werder Bremen – 96 3:3

96 verschenkt in Bremen zwei Punkte, Werder darf aber trotzdem nur einen davon behalten. Angesichts der Leistungen ist selbst das eher einer zu viel, aber Pech, viele schlecht ausgespielte Konter und sich relativ früh ankündigende Probleme bei 96 machen aus dem 3:3 ein relativ logisches Ergebnis. Skripnik zeigt ein recht gutes In-Game-Coaching, kann aber die Mängel seiner Mannschaft nur teilweise verdecken. Am Ende steht 96 wie in den letzten Wochen eigentlich immer mit einer guten Leistung, aber quasi ohne Punkte da.

Grundformationen

Die erste Halbzeit

Von Anfang Bremen an galt bei den Bremern die Devise: Alles was Beine hat, in die Mitte. So erzeugten sie mit einer hohen Anzahl von Spielern, die natürlich auch eine hohe Anzahl von Gegenspielern zur Folge hatte, im Spielfeldzentrum bzw. in der kollektiven Bewegung zwischen den Halbräumen viel Chaos und viele enge Passwege, bei denen die Genauigkeit der eigenen Abspiele quasi egal war: da überall Bremer in der Nähe waren, wird einer von denen wohl schon sein Bein dazwischen kriegen. Vielleicht ist diese Herangehensweise annähernd als „Schwarmqualität“ zu charakterisieren. Wo die individuelle Qualität fehlt, reduziert man einfach ihren Einfluss auf den Spielverlauf. Zwar waren die ersten Minuten der Begegnung dadurch etwas hektisch, aber wenig gefährlich für das Hannoversche Tor, da die Endverteidigung von 96 nach wie vor relativ solide agierte.

Nach etwa fünf Minuten beruhigte sich das Spiel insgesamt etwas. 96 agierte im Ballbesitz insgesamt wie zuletzt immer, das Spiel war aber von mehr Breite gekennzeichnet. Sie entstand zum einen durch eine etwas höhere Flexibilität auf den Flügeln, indem Briand auch mal nach links herüberzog und sich Kiyotakes Einrücken in einzelnen Phasen wie gewohnt offenbarte. Andererseits waren die beiden Außenverteidiger sehr offensiv ausgerichtet, ihr beständiges Nachrücken gab dem 96-Spiel eine größere horizontale Dimension als zuletzt.

Bremen auf der anderen Seite griff wie seit Skripniks Amtsantritt üblich auf eine leicht asymmetrische Raute im 4-4-2 zurück. Zlatko Junuzovic agierte links meistens höher und vertikal weiträumiger als Fritz auf der anderen Seite. Der Bremer Kapitän zeichnete sich dafür in der horizontalen Unterstützung des Spielaufbaus umtriebiger. Gegen den Hannoverschen Spielaufbau staffelten sich die Hansestädter in einem 4-3-1-2 mit relativ breiten Stürmern, zwischen die etwas tiefer der junge Ex-Hannoveraner Aycicek den gegnerischen Sechserraum verstellte. Generell war Bremen dort, aber auch im gesamten Mittelfeldzentrum (und teilweise in der Abwehr: Galvez mit einer mannorientierten Fouldeckung gegen Joselu) situativ, aber nicht dauerhaft mannorientiert ausgerichtet. Die Gastgeber pressten dabei durchaus hoch, die Intensität im Anlaufen der gegnerischen Ballführenden durch die beiden Spitzen war aber eher gering, sodass man eher von einem hohen Mittelfeldpressing sprechen würde. In späteren Angriffsphasen Hannovers blieb diese Anordnung ohne größere Schwankungen aufrecht erhalten, lediglich die Abstände zwischen den drei tieferen Akteuren und Aycicek war natürlich geringer, sodass phasenweise 4-4-2-ähnliche Formationen entstanden.

96 im Spielaufbau und Bremen im relativ guten Pressing. Die Arbeit gegen den Ball lässt sich nunmal leichter trainieren als das Offensivspiel, also ist der Aspekt von Bremen schon in Ordnung. Gülselam lockt Aycicek manchmal noch weiter heraus, weil er weiß, dass Zieler/die IV ihn sowieso nicht anspielen (nein, nicht weil er so schlecht ist…). Zieler baut dann entweder flach mit Schulz und Albornoz oder lang in Richtung Briand/Joselu auf. Da war die Welt noch in Ordnung…

Als direkte Folge dieser Defensivspielweise kippte quasi nie einer der beiden 96-Sechser im Spielaufbau ab (weil es auch nicht möglich bzw. sinnvoll gewesen wäre). Die Reaktion Hannovers bestand darin, dass Weltmeister Zieler sehr modern aufrückte und recht hoch und sehr aktiv in den flachen Spielaufbau eingebunden wurde.

Um die eigenen Angriffe einzuleiten lockte 96 die Bremer gewissermaßen in das hohe Pressing, was auch durch eine kluge Rolle Gülselams gelang. Im Wissen, dass er ohnehin nicht anspielbar war, ließ er sich leicht diagonal in Richtung Zieler fallen und zog so Aycicek noch etwas weiter heraus in dann klarere 3-3-Staffelungen. Es folgte ein langer Ball durch Zieler in die Spitze, in der Stindl, Joselu und Briand auf recht engem Raum warteten. Stindl löste sich dann kurz vor dem Einschlag des Balles allerdings aus der letzten Linie und ließ sich in den Zwischenlinien-(Halb-)raum (das ist sowieso der vielleicht produktivste Raum auf dem Fußballplatz) fallen. Briand oder Joselu legten mit dem Kopfball direkt dorthin auf Stindl ab, der den Ball entweder hielt und auf die nachrückenden Sakai und Schmiedebach wartete oder kurz mit Kiyotake kombinierte. So nutzte 96, dass Bremen gegen den Ball große Probleme mit der Verteidigung in den Halbräumen rund um den einzigen Sechser Kroos herum hat (konnte man bereits im Spiel gegen Frankfurt sehen), wenn sich die beiden Achter nicht eng genug im Zentrum ballen konnten. Die Effektivität dieser Spielweise vor allem auf der rechten Hannoverschen Seite wurde zudem befördert durch individuelle Probleme von Linksverteidiger Sternberg, der latente Schwierigkeiten mit der Orientierung gegen teilweise zwei Gegenspieler hatte. Die Viererkette von Bremen war insgesamt horizontal nicht kompakt genug, weil 96 durch die sehr offensiv ausgerichteten Außenverteidiger und durch die anfangs flexible Besetzung der Flügelräume durch Briand und Kiyotake die Breite des Feldes oft gut nutzte und die Tiefenläufe der nachrückenden Spieler sehr gut einband.

Ein alternativer Mechanismus im 96-Spielaufbau bestand darin, dass sich Miiko Albornoz relativ kurz an der Viererkette anbot und nicht so weit aufschob wie auf der anderen Seite Sakai. Er positionierte sich dann zu kurzen Dreiecken mit Gülselam, Kiyotake und Stindl und 96 konnte sich flach und planvoll ins zweite bzw. dritte Drittel kombinieren. Insgesamt bestätigte sich die Tendenz aus dem Wolfsburg-Spiel zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Angriffe auf alle Spielfeldbereiche, die Überladung konkreter Zonen war kurzfristiger und weniger statisch. Über rechts war die Mannschaft von Tayfun Korkut allerdings etwas effektiver und durchschlagskräftiger. Im zweiten Drittel waren im Ballbesitz und vor allem im Umschalten die nachrückenden Läufe von Schmiedebach diagonal bis zur Außenlinie sehr effektiv und auch durchaus gut eingebunden, wenn Briand (egal ob mit oder ohne Ball) in Richtung des Tores zog. 96 spielte grundsätzlich gewissermaßen im Zentrum in das Zentrum und nutzte dann durch nachstoßende Spieler die so geöffneten Zonen um die Bremer Formation herum auf den Flügeln. Gegen eine enge Raute wie der Bremer ist das eine ebenso logische wie effektive taktische Anpassung und führte zu einigen wirklich guten Möglichkeiten für Hannover sowohl aus dem ruhigen Aufbau, als auch nach Umschaltsituationen. Eine ansehnliche Kombination mit dem sehr weit eingerückten Kiyotake, einem sehr geschickt verzögernden Joselu im Strafraum und dem nachstoßenden Stindl besorgte so auch die Führung für 96.

Bremen auf der anderen Seite war im Ballbesitz quasi die fleischgewordene Nicht-Gefährlichkeit. Nur dann gelang es ihnen, im Ansatz ordentliche Kombinationen aufzuziehen, wenn sie Ceyhun Gülselam etwas herauslocken konnten, der dann relativ mannorientiert Fritz oder Kroos anlief, das aber im Laufe der Halbzeit zum Glück reduzierte (auch nach lautstarken Kommandos von Korkut; Schmiedebach ließ sich auch locken, aber für den sichert dann ja sowieso Gülselam ab; andersrum ist das Ganze problematischer). Wenn sie zuvor mit den relativ offensiven, an der Linie klebenden Außenverteidigern Kiyotake mit auf die Höhe der Viererkette hatten schieben können konnten sie mit simplen Dreiecken den nun geöffneten Halbraum oder den Flügel bespielen und kamen so immerhin etwas vorwärts. Doch dann liefen sie auf die massiv (wenn auch zu flach) gestaffelte Endverteidigung von 96 zu und fanden quasi kein Mittel zum Abschluss zu kommen. Durch ihren eigenen Zentrumsfokus waren sie oft in direkte Auseinandersetzungen verwickelt und verloren sie bis zur etwa 30. Minute auch zum größten Teil. Ansonsten bedienten sich die Bremer vieler langer Bälle und operierten ebenfalls mit einer recht hohen Präsenz in letzter Linie, aber ohne diese elegante Nutzung des Zwischenlinienraums wie 96. Nur sehr selten konnte Junuzovic in die Schnittstelle zwischen Sakai und Marcelo eindringen und dort ansatzweise für Gefahr sorgen. Abgesehen von einzelnen Umschaltsituationen bestand die einzige von Bremer Seite erzeugte Gefahrenquelle in Junuzovics Standards. Bezeichnenderweise fiel so auch Ausgleich: nach einem Katastrophenpass von Schulz (wobei es kein Pass gewesen sein kann, da stand schließlich absolut niemand, den man hätte anspielen können) musste Hiroki Sakai die Situation mit einem taktischen Foul am Strafraum reparieren und Junuzovic versenkte den folgenden Freistoß zur Führung. Danach wurde Bremen marginal besser (auch durch den frühen Wechsel Sternberg-Garcia bedingt) etwas besser, blieb aber im Prinzip aus dem Spiel heraus ungefährlich. Lediglich die nun bessere Nutzung der Breite durch den sehr offensiv ausgerichteten Garcia sorgte für etwas mehr Gefahr, zu richtigen Torabschlüssen kam Werder dennoch nur nach Standards.

Auf Seiten Hannovers gab es trotz einer insgesamt ansehnlichen Leistung und wenig Gefahr für das eigene Tor ein paar Probleme zu erkennen: Im Gegenpressing (das – auch das deutete sich in den letzten Wochen immer wieder an – ansprechend intensiv war) nach Ballverlusten auf dem Flügel  trafen vor allem die beiden Außenverteidiger und Jimmy Briand einige schlechte Entscheidungen und neigten zu überstürztem Aufrücken (Außenverteidiger) bzw. zu schlechter Körperstellung im Zweikampf (Briand). Besonders gegen Mittelfeldrauten ist das natürlich schlecht (es bestehen je nach Situation Dreiecke, ohne dass man etwas dafür tun muss), in der ersten Halbzeit blieben diese Fehler aber nahezu ohne Auswirkung.

Die zweite Halbzeit

Die zweite Halbzeit, beide Trainer hatten auf personelle Wechsel verzichtet, begann wie die erste Halbzeit aufgehört hatte: Hannover spielt Fußball, Hannover spielt teilweise guten Fußball, Bremen macht eigentlich nichts und trifft trotzdem. Nach einem Konter, der aus einem Pass und einem langen Sprint bestand, erzielte der junge Lorenzen ein Tor, das ihm so wohl auch nicht mehr allzu oft gelingen wird. 96 reagierte darauf zwar zunächst etwas verunsichert, aber fand recht schnell wieder einigermaßen zu seiner Linie.

Stindl agierte zu Beginn des zweiten Durchgangs ein gutes Stück tiefer und machte das Zentrum noch etwas kompakter. Vor allen Dingen im Rückwärtspressing und Gegenpressing zeigte er sich nun näher am Geschehen einige Male sehr auffällig und gut, sodass er einige sehr vielversprechende Konter seiner Mannschaft maßgeblich einleitete. Diese wurden jedoch teilweise stümperhaft zu Ende gespielt, selbst eine 4-2-Überzahl wurde jeweils einmal von Kiyotake und später Stindl äußerst leichtfertig verschenkt oder die Abschlüsse waren ungenügend. Aus dem Spiel heraus führte ein relativ typischer 96-Angriff dann zum Ausgleich. Schmiedebach und Briand behielten (etwas glücklich) auf der rechten Seite den Ball, Briand zog nach innen und steckte durch auf Kiyotake, der schön auf Joselu ablegte. Wenige Sekunden später segelte ein Freistoß von Kiyotake unberührt ins lange Eck und der leistungsgerechte Spielstand war wieder hergestellt.

Nach der 96-Führung blieb Bremen zunächst unheimlich harmlos und fast ohne den Ansatz von spielerischer Qualität. 96 ließ den Ball durch eine zwar offenere, aber nicht zu offene, positionstreue Staffelung laufen und Bremen fand zwischenzeitlich keinerlei Zugriff auf das Spiel. Nach wie vor verschenkte 96 jedoch die Möglichkeiten zur Vorentscheidung nach Umschaltsituationen und offenbarte immer wieder Probleme auf dem rechten Flügel.

Mit Beginn der Schlussviertelstunde begann Bremen dann endgültig zu bolzen und brachte den Ball völlig aktionistisch meistens schon aus dem Halbfeld hoch in den Strafraum. Hannover auf der anderen Seite verlor minütlich mehr den Zugriff auf dem rechten Flügel, weil Briand zu inkonsequent die Wege ins Zentrum abdeckte oder zu nachlässig in der Zweikampfführung war und Sakai teilweise grundlos die Kette verließ, ohne dass das Zentrum oder die Bereiche hinter ihm abgesichert wurden. Korkut reagierte auf die hohen Bälle und die Probleme im rechten Zentrum und brachte Salif Sané für Schmiedebach. Bremen bolzte munter weiter in den Strafraum, Hannover konnte sich auch wegen der wie teilweise im ersten Durchgang zu flachen Staffelung kaum noch befreien. In Kombination all dieser Faktoren und einer unkonzentrierten Strafraumverteidigung wurde Bremen tatsächlich mehrmals noch gefährlich. So war es dann auch eine schlecht verteidigte Halbfeldflanke von links, die über eine schlecht zugeordnete Stafraumverteidigung von 96 hinwegflog, der zuvor eingewechselte Selke verwertete die kurze Hereingabe von rechts wenige Minuten vor dem Schluss.

Fazit

Ein für die letzten Wochen typisches 96-Spiel endete mit einem für Hannover untypischen Ergebnis. Die Roten machten vor allem im Ballbesitz viel richtig und zeigten ansehnliche, relativ variable, schnelle Kombinationen mit Zug zum Tor. Bremen war alles in allem nur nach Standards und in eineinhalb Szenen aus dem Spiel heraus gefährlich, das reichte jedoch für drei Tore gegen eine vor allem im Strafraum merkwürdig unorganisierte 96-Defensive. 96 spielte gegen den Ball relativ gut, wurde von Bremen aber auch so gut wie nie richtig gefordert, dennoch waren die Flügelverteidigung und ein paar Gegenpressingmechanismen unerfreulich schwach. Ein individueller Fehler führte zum Ausgleich in der ersten Halbzeit, kollektives, sich lange ankündigendes, Versagen verhinderte, dass sich 96 für ein durchaus gutes Auswärtsspiel mit einem eigentlich leistungsgerechten Sieg belohnte. Grundsätzlich bestätigte sich auch heute wieder die fast uneingeschränkt positive spielerische Entwicklung der Mannschaft, wenn auch gegen einen in der Form kaum bundesligatauglichen Gegner. Im Endeffekt schlug sich 96 aber selbst, ohne verloren zu haben.

Spieler des Spiels: Lars Stindl

Lars Stindl – antreibendes, spielgestaltendes Rück-, Gegen- und Vorwärtspressing-Genie. Damit ist eigentlich schon alles Wesentliche zu Lars Stindls heutiger (eigentlich nicht nur heutiger) Leistung gesagt. In der ersten Halbzeit noch etwas stärker in der antreibenden Funktion durch fokussierte, druckvolle Ballaktionen aus dem Spielaufbau heraus, zeigte Stindl in Phasen der zweiten Halbzeit vor allem seine Stärke im Spiel gegen den Ball. Mehrmals stahl er den Bremern den Ball, egal von wo er kam und wohin sie wollten. Er leitete mehrere eigentlich tödliche Konter seiner Mannschaft ein und löste darüber hinaus im Kombinationsspiel enge Situationen technisch sehr elegant und vor allem strategisch klug. Es ist eigentlich schwer zu glauben, dass vor nicht einmal einem Jahr der Großteil der 96-Fans Stindl auf dem rechten Flügel am besten aufgehoben sah. Das Schockierende: Es ist der gleiche Spieler, seine Stärken kommen in der quasi ideal auf ihn zugeschnittenen Rolle als Zehner-Achter-Hybridhalbstürmer nur noch brutaler zur Geltung. Das Sahnehäubchen auf seiner fantastischen Leistung wäre es gewesen, wenn er mindestens eine der Umschaltsituationen, die er einleitete oder an denen er anderweitig beteiligt war zum vorentscheidenden 4:2 hätte nutzen können. Aber Fußball ist kurzfristig gesehen nicht gerecht, deshalb blieb ihm und der Mannschaft diese Krönung verwehrt.