Aus aktuellem Anlass wollen wir ausnahmsweise einmal vor dem Anpfiff den Blick auf taktische Aspekte der bevorstehenden Partien werfen, statt wie bisher danach.
Wie heute Mittag bekannt gegeben wurde, fallen für das morgen anstehende Auswärtsspiel gegen Borussia Dortmund mit Christian Pander und Hiroki Sakai die beiden designierten Außenverteidiger aus. Die Alternativen zu diesen beiden (wobei Pander selbst ja ursprünglich die Notfall-Alternative zum ebenfalls verletzten Chilenen Albornoz darstellt) bezeichnete Korkut in der Pressekonferenz zum Spiel selber als wenig vielversprechend. So ist der 96-Trainer nun zu einem Umbau seiner Startelf und eventuell auch -formation gezwungen. Das an sich ist nichts Neues, in dieser Saison konnte er noch nie zwei Mal in Folge dieselbe Elf aufbieten. Doch die aktuelle Situation besitzt wohl noch einmal eine andere Qualität, da zwei komplette Positionen zur Disposition stehen. Dieser Herausforderung zu begegnen ist auf verschiedenen Wegen denkbar, fest steht jedoch: mit etwas Zählbarem die Heimreise nach Hannover anzutreten dürfte wirklich nicht leichter geworden sein.
Modell 1: Möglichst wenig ändern
Angesichts der grundsätzlichen Probleme des Hannoverschen Spiels in den letzten Partien wäre eine legitime Überlegung, der Verletzungsmisere mit möglichst wenigen formativen Änderungen zu begegnen. So bliebe es beim 4-4-2 (sowohl wie üblich gegen den Ball, als auch bei eigenem Ballbesitz), die beiden Außenverteidigerpositionen müssten dann jedoch von Spielern bekleidet werden, die normalerweise nicht auf dieser Position beheimatet sind. Naheliegend wäre in einem solchen Modell, dass Christian Schulz wie bereits zu Beginn von Korkuts Amtszeit links in der Viererkette verteidigt und Felipe seinen Platz als linker Innenverteidiger neben Marcelo einnimmt. Rechts in der Abwehr könnte dann Marius Stankevicius zu seinem ersten Einsatz für die Roten kommen. Zwar ist der Litauer eigentlich auch als Innenverteidiger einzustufen, bei seiner Verpflichtung wurde jedoch darauf hingewiesen, dass er im Notfall auch eine offensiv zurückhaltende, auf defensive Absicherung bedachte Rolle als rechter Außenverteidiger ausfüllen könnte. Doch dass dies weit von einer Wunschlösung entfernt ist, wurde auch dadurch deutlich, dass Hiroki Sakai bei jedem Anzeichen kleinerer Beschwerden umgehend aus dem Trainingsbetrieb genommen wurde, um keinen Ausfall zu riskieren. Dennoch könnte nun der Moment gekommen sein, Stankevicius erstmals als Not-RV einzusetzen. Für das Spiel würde das bedeuten, dass die zuletzt aufgebotene Offensivformation unverändert bleiben könnte, auf eine offensive Mitwirkung, gar offensive Existenz, der Außenverteidiger (für Schulz gilt in leicht abgeschwächter Form hier das gleiche wie für Stankevicius) verzichtet würde. Da ohnehin nicht von einer dominanten, ballbesitzorientierten und kombinativen Spielanlage gegen die in der Champions League sehr starken Dortmunder ausgegangen werden sollte, würde sich die offensive Zurückhaltung der Außenverteidiger jedoch nicht so extrem auswirken. Ein Nachteil wäre es ohne Zweifel dennoch, denn insbesondere das flügellastige Konterspiel von Hannover 96 bedarf zumindest gelegentlich des Mitwirkens der Außenverteidiger. Dass eine Viererkette, die rein mit nominellen Innenverteidigern besetzt ist, aber auch Vorteile in Sachen Stabilität, Robustheit und Kopfballstärke (sowohl bei defensiven, als auch bei offensiven Standards sehr vielversprechend) aufweist, war nicht zuletzt bei der belgischen (mit Abstrichen) und deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien zu sehen. Eine solche Aufstellung könnte 96 dazu veranlassen, etwas tiefer als üblich zu stehen (auch wegen der Schnelligkeitsdefizite der Not-Außenverteidiger), den Dortmundern den Ball zu überlassen, und durch große Kompaktheit (wichtig, dass die Offensivspieler dazu beitragen, sonst könnte Dortmund den großen Zwischenlinienraum anvisieren und von dort ihre extrem schnellen Spieler hinter die Abwehr schicken) insbesondere das erste Drittel zuzustellen. Bei Ballgewinnen durch Hannover wäre dann sehr schnelles Kontern mit langen Bällen angebracht, da das Dortmunder Gegenpressing in diesen Situationen wohl die größte Gefahr darstellt. Zwar wäre die Absicherung der Konter gegeben, doch würde der Ball in der ersten Phase des Umschaltens wieder an die sofort gegenpressenden Dortmunder verloren, wären diese in ballnaher Überzahl und hätte nur noch die etwas unbewegliche und möglicherweise leicht ungeordnete Viererkette Hannovers vor sich – ein wenig angsteinflößendes Hindernis.
Personelle Alternativen zu Schulz und Stankevicius wären links der wiedergenesene Edgar Prib und rechts der sehr talentierte Nachwuchsspieler Vladimir Rankovic. Doch Prib ist laut Korkuts Aussage noch nicht weit genug, sodass spätestens im Laufe der zweiten Halbzeit eine Umstellung erfolgen müsste. Denkbar wäre in diesem Fall eine Viererkette aus Prib, Schulz, Marcelo und Stankevicius zu Beginn, die im Laufe des Spiels umgebaut würde. Für Prib käme dann Felipe, der Schulz nach links schieben würde. In diesem Fall wäre Prib offensiv zu mehr fähig als Schulz, doch übermäßig viele dynamische Impulse über links und weite Wege sind von Prib zurzeit noch nicht zu erwarten. Interessant wäre diese Aufstellung jedoch eventuell dahingehend, dass so im Ballbesitz der Versuch unternommen werden könnte, den beispielsweise gegen Hamburg gesehenen Linksfokus mit Kiyotake und Joselu wiederzubeleben. Gegen das Dortmunder Pressing wäre dies zwar komplizierter als bisher, aber vom Grundsatz her immer noch denkbar. Auch in Sachen Umschaltspiel und Standards wäre Prib gut zu gebrauchen, sodass sein Mitwirken in welcher Form auch immer grundsätzlich wünschenswert ist. Alternativ zu Marius Stankevicius könnte Korkut Rankovic aufbieten. Doch dies erscheint wenig wahrscheinlich, da er bisher nur selten den Sprung in den Kader schaffte und seine Entwicklung sinnvollerweise mit viel Spielzeit in der U23 voranzubringen versucht wird. In der Vorbereitung konnte man bereits erkennen, dass Rankovic hochtalentiert ist und defensiv bereits erstaunlich stabil wirkt, sich in Sachen Offensivbeteiligung jedoch eher zurück hielt. In seinem ersten Einsatz in der Bundesliga von Beginn an würde sich daran wohl nichts ändern, eher im Gegenteil. Somit wäre Rankovic die in der Defensive unerfahrene, dadurch eventuell leicht instabilere, aber im Rückwärtsgang auch dynamischere Variante als der 33-jährige Stankevicius. Offensiv wären mit einiger Wahrscheinlichkeit allerdings kaum Unterschiede festzustellen, sodass die Erfahrung und der bisherige Verlauf der Kadernominierungen eher für den Litauer sprechen.
Zwar würden die angeblich seriösen und objektiven regionalen Sportberichterstatter hinterher wohl wieder von „Angsthasenfußball“ sprechen, doch angesichts der eigenen personellen Nicht-Möglichkeiten und des enormen Gefahrenpotentials des Dortmunder Spielsystems (generell, aber eben auch in Kombination mit den Hannoverschen Sorgen) wäre eine solche Herangehensweise für Tayfun Korkut absolut legitim. Dennoch wäre das Risiko, durch ein unglückliches, zufälliges oder auch irreguläres Gegentor zu einem frühen Zeitpunkt des Spiels quasi aussichtslos zurück zu liegen und lediglich über Standardsituationen zum Erfolg kommen zu können. Daher soll an dieser Stelle eine vom Prinzip her gar nicht so unähnliche, aber in gewissen Aspekten angepasste Alternative vorgestellt werden.
Modell 2: Fünferkette
Wenn die Außenverteidiger ausfallen, spielt man eben ohne. Nach dieser durch ihre Simplizität bestechenden Logik könnte Korkut wie bereits gegen Bayern München von einer Viererkette auf eine Lösung mit drei Abwehrspielern umschwenken. Somit wäre es im Rückblick sehr vorteilhaft gewesen, gegen den ohnehin übermächtigen FC Bayern ein alternatives Modell unter höchster Beanspruchung angewandt zu haben. In diesem Fall würde die Abwehr von Felipe zentral und Christian Schulz und Marcelo als Halbverteidiger gebildet werden. Zwar trat Felipe in München nicht besonders ansprechend auf, doch immerhin verfügt er nun über 90 Minuten Bundesliga-Spielzeit mehr als vor der Partie beim Rekordmeister. Die Dreierkette aus diesen drei sehr robusten und zweikampfstarken Abwehrspielern böte zudem die Möglichkeit, Edgar Prib noch sinnvoller einzubauen: Als Flügelverteidiger auf der linken Seite könnte er seine Offensivvorstöße angesichts seines Fitness-Rückstandes besser dosieren, könnte aber gleichzeitig seine Fähigkeiten in der Defensive einbringen und der Mannschaft Stabilität im Abwehrverhalten verleihen. Die Besetzung des rechten Wing-Backs ist schon deutlich schwieriger, da Leo Bittencourt eigentlich die Robustheit und Konsequenz im Defensivverhalten abgeht. Doch das Engagement kann ihm in nahezu keinem Fall abgesprochen werden, sodass man dieses Risiko eingehen könnte. Es käme ihm in diesem Fall entgegen, mit Marcelo einen extrem zweikampfstarken Mitspieler hinter/neben ihm zu wissen. Dennoch bliebe eine grundlegende Asymmetrie im 96-Spiel, die Mannschaft würde gewissermaßen leicht nach links „kippen“. Um dem Dortmunder Spiel zu begegnen könnte man das System insgesamt zu einer Art 5-3-2 bzw. 3-4-1-2 ausrichten. Vor der erwähnten Fünferkette könnten Schmiedebach und Gülselam sowohl versuchen, die Kreise Kagawas einzuschränken (versuchen, schaffen tut das sowieso nur selten jemand), als auch bei Bedarf entstehende Lücken hinter den Flügelverteidigern besetzen und die Dortmunder Bemühungen verzögern. Wie in der Champions League gesehen sind es insbesondere diese Räume, die die Dortmunder im schnellen Umschalten hervorragend nutzen können. Mit einer Raute wie Galatasaray sollte 96 also lieber nicht spielen… Die Ausrichtung mit Prib als linkem Wing-Back könnte es Korkut zudem ermöglichen, Hiroshi Kiyotake als zentraloffensiven Mittelfeldspieler aufzubieten. Zwar kommt ihm die eingerückte, leicht zurückfallende Spielweise auf dem linken Flügel durchaus entgegen, sie bedarf jedoch der Unterstützung durch einen offensiven Außenverteidiger (Albornoz). Da ein solcher jedoch nicht zur Verfügung steht, könnte man Kiyotake als Zehner aufbieten und schauen, inwiefern ihm eine solche Rolle liegt. Doch da Kiyotake sich nicht wirklich als Umschaltspieler eignet, wäre der größte Vorteil einer solchen Aufstellung eventuell, dass der Japaner von komplexeren bzw. wichtigeren Defensivaufgaben entbunden wäre. Aber natürlich muss auch er die Basisarbeit gegen den Ball mit verrichten. Da unter den bekannten Vorzeichen und wegen der spielerischen Probleme Hannovers von einer erneut recht starken Konterlastigkeit ausgegangen werden kann, bietet sich ein Zweiersturm an, um immer über (auch lange) Anspielstationen in der Tiefe zu verfügen, und verschiedene Staffelungen in der Spitze gewährleisten zu können. Ausgehend von seiner gezeigten Leistung gegen Mönchengladbach könnte Jimmy Briand in diesem Plan eine passende Besetzung neben dem gesetzten, aber zuletzt unglücklich bis lustlos wirkenden Joselu darstellen. Er würde sowohl als Zielspieler für lange Bälle dienen können (wie ohnehin Joselu), aber auch mehr Bewegung in horizontaler Richtung anbieten können. Eine ähnliche Rolle kann allerdings auch Artur Sobiech ausfüllen, sodass die Frage nach einem möglichen Sturmpartner für Joselu taktisch gesehen eine Sache von Nuancen ist.
Der Gegner
Mit der so vorgeschlagenen Ausrichtung und Aufstellung könnte interessanterweise bei angemessener Umsetzung einigen Stärken der Dortmunder begegnet werden. Grundsätzlich muss natürlich verhindert werden, den Ball in höheren Zonen leicht zu verlieren (durch eigene Fehler oder Dortmunder Gegenpressing/Pressing), da das Umschalten nach wie vor eine überragende Fähigkeit der Mannschaft von Jürgen Klopp ist. Doch die Probleme in der Bundesliga zuletzt rührten eher daher, dass dem Dortmunder Spiel eine Dominanz „aufgedrängt“ wurde, die sie nicht richtig zu nutzen wussten. Doch ein Blick auf die mögliche Aufstellung der Dortmunder verrät: Das ist von den Namen her die wohl beste Dortmunder Mannschaft seit langem (wenn nicht seit jemals), insbesondere das Mittelfeld verfügt über derart überragende spielerische Möglichkeiten, dass auch das Ballbesitz- und Kombinationsspiel in vermutlich sehr naher Zukunft den BVB wieder an die Spitze der Tabelle (sprich hinter Bayern) führen wird. So wäre der Sinn hinter der Doppelsechs mit einem defensiv simplen, aber unterstützenden Kiyotake davor, zumindest ansatzweise die Überlegenheit der Dortmunder im zentralen Mittelfeld zu bremsen und das Spiel zu erschweren. Mit einem immer wieder extrem ausweichenden, umher driftenden und zurückfallenden, ballfordernden Mkhitaryan, dem zum Glück für 96 noch längst nicht wieder völlig hergestellten Gündogan, Allzweckwaffe Marco Reus und dem kreativen und pressingintelligenten Nadelspieler Kagawa kann Dortmund ein Mittelfeld aufbauen, das sich in der Offensive auch vor der scheinbar übermächtigen Konkurrenz aus München nicht verstecken muss. Dazu noch Sebastian Kehl, der die Bewegungen seiner Mitspieler balanciert und die Mannschaft so extrem stabil halten kann. Und welche(n) Stürmer Klopp aufbietet, kann ebenfalls die Spielweise seiner Mannschaft maßgeblich beeinflussen. Es ist somit kaum möglich, vorherzusagen, welcher taktische Aspekt im morgigen Auswärtsspiel für 96 besondere Aufmerksamkeit verlangen wird. Doch sollte der BVB mit seinem vom Namen her bestmöglichen Mittelfeld auftreten, wäre zumindest der Versuch nötig, dem mit drei (vertikal gestaffelten!) zentralen Mittelfeldspielern zu begegnen und eventuell situativ noch die Außenspieler hereinzuziehen. Doch diese Art von Detailanpassungen ist in dieser Prognose sinnlos. Weitere Vorteile des vorgeschlagenen Modells wären, dass die erwähnte Asymmetrie der 96-Formation zur Besetzung der Außenverteidigerposten der Dortmunder passen könnte. Denn auch Jürgen Klopp hat in dieser Hinsicht bei weitem nicht alle Spieler zur Verfügung, kann aber natürlich dennoch verschiedene Spieler aufbieten. Doch sollte erneut Sokratis als Linksverteidiger spielen, könnte Bittencourts Defensivschwäche etwas weniger stark ins Gewicht fallen (er muss trotzdem noch mitmachen, egal wer offensiv auf dem Dortmunder Flügel spielt wird Stankevicius, Rankovic oder Marcelo definitiv fordern). Auf der anderen Seite ist Lukas Piszcek noch nicht wieder in der Form wie vor etwa einem Jahr, aber trotzdem offensiv immer wieder gefährlich. Somit wäre Pribs Bedeutung erneut unterstrichen. Nach einiger Zeit könnte man dann, je nach Spielverlauf, durch Pribs zu erwartende Auswechslung das System umstellen (beispielsweise durch Felipe wie in Modell 1 auf Viererkette umstellen oder Risiko mit Kiyotake auf Pribs Position, Sobiech oder Schlaudraff dafür in der Offensive…). Jimmy Briand könnte sein gegen Gladbach gezeigtes Engagement im Anlaufen der Innenverteidigung dieses Mal auf Mats Hummels (so dieser denn spielen kann) konzentrieren und somit die gefährlichen Vertikalpässe im Spielaufbau der Dortmunder zu unterbinden versuchen.
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