Breitenreiter denkt sich einen speziellen Matchplan aus und verhilft seiner Mannschaft damit zum knappen, überraschenden und auch vertretbaren Heimsieg gegen Tedescos Schalke-Projekt. Wir beleuchten einzelne Punkte des taktisch interessantesten Spiels mit Beteiligung des Breitenreiter-96 seit dem Spiel gegen Tedescos Auer.
Breitenreiter gleicht gegen Tedesco aus
Die Möglichkeiten zur taktischen Anpassung an den kommenden Gegner sind in der Praxis wesentlich stärker eingeschränkt, als in der Theorie. Schließlich steckt in der Trainer-Phrase, „das eigene Spiel durchbringen“ zu wollen, ja ein wahrer Kern: Mit unbekannten taktischen Abläufen in ein Spiel gehen zu wollen, also mit einem perfekten, aber schlecht umsetzbaren Plan aufzulaufen, ist ein irrational hohes Risiko. Dementsprechend muss die zweite Frage bei der Vorbereitung auf den Gegner (nach Frage 1: „Wie spielt er und was kann er gut/nicht gut?“) auch nicht lauten: „Was kann man dagegen idealerweise machen?“, sondern: „Was haben wir schon im Werkzeugkasten, das dazu passt?“
Im Fall des anstehenden Spiels gegen Schalke 04 lautete deshalb nach der Erkenntnis aus Frage 1, dass Schalke im Moment im 3-4-3 gestaffelt eine vertikale Spielweise mit langen Bällen von den Halbverteidigern nach vorne bevorzugt, aber im Spielaufbau wesentlich weniger weit entwickelt ist als in der vor allem zentral und in der Halbraumverteidigung extrem kompakten 5-2-3-Defensive, die Antwort auf Frage 2 offensichtlich: „Unser mannorientierter Zugriff im höheren Pressing ist ein einfach umsetzbares Mittel, um den gegnerischen Spielfluss zu mindern und diese Schwachstelle gezielt anzugehen, im 4-4-2 lassen die sich aber nicht gut organisieren.“ Die Schlussfolgerung: Man muss die (Pressing-) Formation verändern, um mit bekannten Abläufen aus den Schwächen des Gegners Kapital zu schlagen. Im Fall von 96 gegen Schalke bedeutet das: 96 muss selber im 5-2-3 pressen, um früh stören zu können (was auch in einem Heimspiel, zumal dem ersten der Saison, psychologisch nicht unwichtig wäre) und gleichermaßen Schalke zu behindern und sich selbst nicht zu schaden.
Dass es weder für diese Erkenntnisse, noch für die Schlussfolgerungen eines enormen Fußballverständnisses oder großer taktischer Kreativität bedarf, lässt sich leicht demonstrieren: Wir sind vorher auch schon drauf gekommen.
Eine mögliche Umstellung wäre, selber im 5-2-3 zu spielen, um die Pressingprobleme durch das Spiegeln des Gegners zu vermindern und vielleicht ein bisschen weniger diagonale Passwege freizugeben. 96 hat diese Grundordnung in der Vorbereitung zwar getestet, aber ein 4-4-2-Mittelfeldpressing mit höchstens vereinzelten höheren Pressingattacken erscheint dann doch wesentlich wahrscheinlicher.“
ein Teil unserer Antwort auf die Pressing-Frage im Spielvorschau-Interview bei halbfeldflanke.de
Dass wir die Wahrscheinlichkeit für diese taktische Anpassung unterschätzt haben, liegt unter anderem daran, dass wir Breitenreiter tendenziell unterschätzen (bzw. um genauer zu sein, dass wir Breitenreiter geringschätzen, weil wir wie eigentlich alle Leute den Wert von Defensiv- gegenüber Offensivtaktik ein bisschen unterbewerten, weil es aber auch im Schnitt einfacher ist). Aber auch daran, dass das 5-2-3/5-4-1 in der Saisonvorbereitung tatsächlich nicht besonders gut funktioniert hat. Die Erklärungslücke zwischen „war vor einem Monat nicht gut“ und „ist jetzt aber trotzdem eine Option“ kann man dann wohl unter mangelndem Einblick verbuchen, unter dem man als Beobachter ja immer leidet.
Hannovers Matchplan geht auf
Jedenfalls wählte 96 diese Option in der Schnittmenge zwischen „für uns umsetzbar“ und „theoretisch plausibel“ und spiegelte die gegnerische Formation, um im Pressing zehn mehr oder weniger enge Mannorientierungen eingehen zu können. Hannover konnte aus der 5-2-2-1-Staffelung weiter vorne ins Pressing gehen als gegen Mainz, ohne irgendwo in ernsthafte Unterzahlsituationen zu geraten. Wie theoretisch veranschaulicht, wurde mit dem bekannten mannorientierten Herausrücken der Flügelstürmer aus ihrer meistens etwas tieferen Position auf die gegnerischen Halbverteidiger auch nicht der Passweg auf den Flügel oder ins Zentrum geöffnet – schließlich hatte 96 mit der neuen Formation den Gegner 1-zu-1 zustellen können. Wegen der versperrten ballnahen Anspielstationen musste Schalke, auch in Ermangelung eines pressingresistenten, technisch sicheren Torwarts, auf lange Bälle nach vorne zurückgreifen. Lange Bälle zu verteidigen ist für 96 schon über weite Strecken der letzten Saison, aber vor allem in der Konstellation Sané-Felipe-Anton keine besonders große Herausforderung. Wir können uns bei der weiteren Beschreibung der taktischen Inhalte aber viel Zeit und Aufwand sparen und auf die lesenswerten und verständlicheren Analysen auf
- spielverlagerung.de und bei
- halbfeldflanke.de verweisen.
Sowohl Antons Orientierung an di Santo in der Rückwärtsbewegung, als auch das Umspielen der Schalker Formation im 4-1-4-1 mit den nach außen unterstützenden Achtern, Schwegler und Bakalorz, und den Flügelüberladungen werden dort als wesentliche weitere Faktoren benannt, die 96 nicht unbedingt Überlegenheit, aber auf jeden Fall die Spielkontrolle einbrachten.
Zu Antons Sonderrolle als Ballbesitz-Sechser und Defensiv-Innenverteidiger lassen sich noch Details ergänzen, die aber auch Aussagen über das weitere Spielgeschehen zulassen: Einerseits ist diese Rolle für ihn nicht prinzipiell neu (in der Konsequenz und Dauer natürlich schon), andererseits wurde auch in diesem Zusammenhang offensichtlich, warum solche etwas unorthodoxen Doppelrollen eben nicht zum Standard-Repertoire gehören – Thomas Schaafs Pressing-Zehner lassen grüßen. Joachim Löw hatte sich jedenfalls ein sehr gutes Spiel ausgesucht, um sich Anton aus der Stadionperspektive anzusehen (weswegen hätte er sonst da sein sollen?) und konnte beobachten, dass sich Anton beim Herauskippen von Schwegler im Aufbau neben die Innenverteidiger auch gut balancierend nach vorne bewegte, oder vor allem mit Felipe gut harmonierte und der 96-Endverteidigung zu sehr hoher Kompaktheit verhalf (und einfach gut verteidigte wie immer).
Aber sein nötiger Laufweg in Umschaltsituationen aus dem Mittelfeld in die Abwehrreihe hinterließ auch Räume hinter oder zwischen den beiden Sechsern, in dem Schalke mehr hätte kombinieren müssen, und wo auch am meisten Potenzial für eine taktische Reaktion Tedescos lag, um dem vielleicht überraschenden 96-Plan etwas entgegenzusetzen und die stockende Offensive zu beleben. Auch an diesem Punkt müssen aber die oben genannten Einschränkungen berücksichtig werden und sind im laufenden Spiel vielleicht noch weiter gefasst, sodass das Zurückziehen von Harit und der Wechsel vom 5-2-3 auf das 5-3-2 auf dem Papier als eine gute Trainerleistung anzusehen ist. Noch konsequenter wäre eine frühere Einwechslung von Max Meyer gewesen, mit dem auch dauerhaft das spielerische Potenzial vor Hannovers Fünferkette hätte gehoben werden können, aber an beiden Punkten landet(e) man (=Schalke) eben zwangsläufig wieder bei Waldemar Anton. Denn die Einwechslung von Burgstaller für di Santo hatte auch „negative“ Folgen für Schalke, obwohl er die individuelle Qualität der Mannschaft hebt. Mit dem geringeren Bewegungsradius von Burgstaller war schließlich auch die Notwendigkeit des Anton-Zurückfallens vermindert, sodass die Zuordnung zum zusätzlichen Schalker Mittelfeldspieler problemlos erfolgen konnte und das 96-Pressing zum 4-2-1-3 mit Bakalorz als Zehner und weniger engen Zuordnungen in der Abwehr wurde. Gegen die Probleme, das Spiel überhaupt wie gewünscht oder einfach besser zu eröffnen, konnte/ hätte aber wohl auch eine andere Herangehensweise von Tedesco nicht viel helfen können:
Wir wurden in den meisten Situationen zugestellt. Wir hatten gewisse Ideen, dieses Pressing zu überspielen. Dazu muss man aber Luftduelle gewinnen und eine gute Positionierung für den zweiten Ball haben, außerdem muss der Ball auf eine Art in die bestimmten Zielzonen geschlagen werden, die es dem Mitspieler ermöglicht, sich auch gegen einen längeren Gegner zu behaupten. Alle drei Punkte waren nicht der Fall, deshalb ging es oft recht zügig Richtung eigenes Tor.“
Jonathas‘ Debüt für 96
Der Sturm-Messias deutete in seiner ersten halben Stunde für Hannover zumindest an, dass er die angekündigte Verstärkung für den Sturm ist. Sein erster Auftritt bestätigt die Vermutung, dass er ein Füllkrug-Upgrade darstellt, aber nicht unbedingt eine grundsätzlich neue Facette ins Spiel bringen wird. Sein Ausweichen wirkte zumindest ein wenig besser getimt als bei Füllkrug, während auch seine Positionierung im Strafraum bei den zwei, drei Szenen einen besseren Eindruck machte als bei seinem Konkurrenten. Es ist zu hoffen, dass Jonathas weniger Probleme gegen individuell gute Innenverteidiger hat als Füllkrug, der beispielsweise schon gegen sehr gute Zweitliga-Verteidiger wie Leistner oder Ewerton schnell an seine Grenzen stieß und daher auch nicht unbedingt Raum für Harnik öffnen konnte.
Das Durchrücken auf Fährmann im Angriffspressing, wie es bis dahin von Füllkrug gezeigt wurde, hat Jonathas aber immerhin auch schon schnell begriffen und war auch einer von drei Gründen für seinen Torerfolg beim Debüt. Die höheren Anforderungen an die Intensität im Spiel gegen den Ball werden aber noch neu für ihn sein, wie man ebenfalls erkennen konnte. Einen physisch starken und offenbar auch präsenten Stürmer neben Harnik zu stellen, bedeutet daher wohl auch weiterhin, dass der Österreicher mehr zu den Seiten und nach hinten arbeiten wird, als es idealerweise zu wünschen wäre, 96 aber damit auch immer zwei Spieler für die Tiefe auf dem Feld stehen haben wird. Zusammen mit dem flügellastigen Übergang ins Angriffsdrittel, der sich jetzt schon seit geraumer Zeit durch das 96-Spiel zieht, und der Betonung von Standard- und Umschaltsituationen passt der Brasilianer gut ins Profil, legt 96 aber eben auch relativ stark darauf fest. Inwiefern die Investition von gerüchteweise mehr als 8 Millionen in einen 28-Jährigen, also in einen Spieler ohne großen Wiederverkaufswert, wirtschaftlich klug ist, sollte aber zumindest als Frage im Hinterkopf behalten werden. Und bei seinen vielen vorherigen Stationen wird er vermutlich nicht mit dem Vorsatz aufgetreten sein, „hier ein Jahr zu spielen und dann wieder abzuhauen“. Aber der Einstand ist ja schonmal geglückt.
„weswegen hätte er sonst da sein sollen?“ Welch feine Ironie – die Trainertagung wird es nicht gewesen sein und Füllkrug sicherlich auch nicht, bleibt nur noch Anton.