Mit Bayer 04 Leverkusen empfängt Hannover 96 nach der Länderspielpause eine der interessantesten Mannschaften der bisherigen Bundesliga-Saison zum nächsten Heimspiel. Um die Länderspielpause zu überbrücken, werfen wir daher in dieser Vorschau einen (quantitativ zu umfänglichen) Blick auf den kommenden Gegner.
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Bayer 04 Leverkusen: Strategie und Taktik
Die Elf von Trainer Roger Schmidt setzt aus taktischer Sicht auf ziemlich extreme Ansätze, sodass Spiele mit Leverkusener Beteiligung oft spektakuläre Verläufe nehmen und dementsprechend hohe Aufmerksamkeit erlangen. Zu Saisonbeginn herrschte in weiten Teilen der fußballinteressierten Szene in Deutschland großes Erstaunen angesichts dieser intensiven, in Deutschland in der Form eher selten gesehenen Art von Fußball. Doch für all jene, die in der letzten Saison ein paar Spiele (oder auch nur Auszüge von Spielen) von RB Salzburg gesehen hatten, war und ist die Leverkusener Spielweise ganz und gar nicht überraschend. Denn die extreme taktische Ausrichtung hat einen Namen: Roger Schmidt. Vor Saisonbeginn war lediglich die Frage, in welchem Ausmaß der neue Leverkusener Trainer seine in Salzburg praktizierte Spielweise auf seine neue Mannschaft übertragen würde. Schon nach wenigen Spielen stand fest: Ziemlich.
Grundsätzlich agiert Bayer Leverkusen in einem als 4-2-2-2 zu bezeichnenden System mit schnellen, dribblingorientierten und immer wieder einrückenden Flügelspielern, offensiv ausgerichteten Außenverteidigern sowie einer aggressiven, intensiven und ballorientierten Spielweise. Das wohl auffälligste Merkmal des Schmidt‘schen Fußballs ist das sehr intensive, hohe Pressing gegen den gegnerischen Spielaufbau. Durch die hoch stehenden offensiven Flügelspieler entstehen so sehr oft 4-2-4-Staffelungen im Angriffs- oder hohen Mittelfeldpressing. Wichtige Prinzipien im Spiel gegen den Ball sind zudem ein stark ballorientiertes Verschieben im Mittelfeld, aber auch stets starkes Verschieben der gesamten Mannschaft sowie ergänzend dazu am Ball ausgerichtetes Auf- und Einrücken von zentralen Spielern und aus der Abwehr. So verteidigt die hintere Reihe der Leverkusener in vielen Situationen riskant „nach vorne“ und die Mannschaft insgesamt verfolgt eine intensive und kraftraubende Spielweise gegen den Ball. Perfekt zu diesen Prinzipien passen auch die relativ häufig zu beobachtenden Pressingfallen gegen den Spielaufbau des Gegners im Zentrum. Es wird dabei bewusst ein zentral positionierter Spieler des Gegners frei gelassen, wenn dieser von seinem Mitspieler angespielt wird, pressen ihn mehrere Leverkusener, die zuvor in seiner Nähe gelauert haben, sofort und können so in vielen Situationen leicht den Ball gewinnen und schnell umschalten. Damit wäre auch „die Spielphilosophie“ der Bayer-Elf gut zusammengefasst: Das oberste Ziel ist, den Gegner so früh wie möglich unter Druck zu setzen, der ballführende Gegenspieler wird zu isolieren versucht, man selbst will in deutlicher Überzahl am Ball sein, ihn so leicht gewinnen und dann schnell und direkt umschalten, um zum Torerfolg zu kommen.
Das Spiel mit dem Ball ist also vorrangig auf schnelles Umschalten nach den erzwungenen Fehlern des Gegners ausgerichtet. Wichtige und viel genutzte Merkmale dabei sind wie gesagt die sehr schnellen, einrückenden Flügelspieler, die zu Tempodribblings ansetzen und immer wieder die Möglichkeit des Schnittstellenpasses suchen. Im tiefen Spielaufbau ist das Leverkusener Spiel von recht hohen Außenverteidigern, meist einem abkippenden Sechser und einer nach wie vor relativ vertikal angelegten Spielweise geprägt. Es werden immer wieder hohe lange Bälle von hinten eingestreut. Der Hintergrund dieser Bälle ist jedoch nicht mangelnde Kreativität oder gar Unfähigkeit, sondern das Lenken des Spiels in die präferierten Zonen. Es ginge in diesem Zusammenhang zwar zu weit, vom absichtlichen Fehlpass zu sprechen [kurzer Einwurf: das Konzept gibt es schon so lange und wurde auch immer mal wieder praktiziert, aber nachdem es bei einer Trainertagung vor kurzem mal zur Sprache kam wurde es gefeiert und bestaunt als wäre es die Revolution im Fußball schlechthin…], aber es ist zumindest in einigen Situationen der „in Kauf genommene Ballverlust“: Wenn der Zielspieler (in den allermeisten Fällen Stefan Kießling) den Ball nicht festmachen und halten kann (wenn doch sucht er meistens die schnellen Flügelspieler, die in die Tiefe geschickt werden), wird von den nachrückenden Mittelfeldspielern sofort der nun ballführende Gegenspieler gepresst und Leverkusen kann sein gewünschtes Spiel in der Nähe des Tores wieder aufziehen.
Ein ebenfalls eminent wichtiger Bestandteil des dargestellten Leverkusener Spiels ist das Gegenpressing. Logischerweise gibt die Mannschaft ihr aggressives, ballorientiertes Spiel auch nicht nach Ballverlusten auf, sondern strebt danach, das Spielgerät sofort wieder zurückzuerobern. Auf den Flügeln wird der Gegner hauptsächlich durch individuelles Nachsetzen zu unkontrollierten Befreiungsschlägen genötigt, die die nachrückenden Leverkusener abfangen und sogleich wieder die Möglichkeit zum Umschalten eröffnen. In den Halbräumen oder im Zentrum ist das Gegenpressing naturgemäß kollektiver angelegt. Das Ziel bleibt das gleiche: Druck auf den Ball, Überzahl in Ballnähe, Ball gewinnen, schnell umschalten.
Saisonverlauf und jüngste Entwicklung
Auf diese Weise legte Bayer Leverkusen also einen „überraschend“ guten Saisonstart hin und galt bereits als Anwärter auf den Posten als Bayern-Jäger Nummer 1. In den letzten Wochen mehrten sich allerdings etwas schlechtere Ergebnisse, sodass die Mannschaft von Roger Schmidt momentan in der Liga schlechter dasteht als zum gleichen Zeitpunkt in der letzten Saison. Die Gründe für den derzeitigen leichten Abschwung im Hinblick auf die Ergebnisse sind vielfältig. Teilweise ist es eine Folge dessen, dass nach den ersten Spielen natürlich die Bekanntheit des Spielstils und seiner Feinheiten gestiegen ist, sodass sich die Gegner besser darauf einstellen können. Doch da die Gegnerbeobachtung in der Bundesliga nicht erst mit dem ersten Saisonspiel beginnt, ist dies zwar ein populäres, inhaltlich aber ein eher schwaches Argument. Tatsächlich ist die derzeitige Leverkusener Situation zu großen Teilen eher eine Ergebnis- denn eine Formkrise. In vielen Spielen zeigte die Mannschaft lediglich eine schlechte Chancenverwertung, war etwas vom Pech verfolgt oder bekam unglückliche Gegentore nach Standardsituationen (bestes Beispiel für nahezu all die genannten Faktoren ist das Spiel gegen Stuttgart). Teilweise ist aber auch eine leicht nachlassende Intensität im Spiel gegen den Ball und im individuellen Nach- und Einrücken festzustellen. Dies ist zwar lediglich eine marginale Nachlässigkeit in einzelnen Situationen, sie wirkte sich jedoch in einigen Spielen in Kombination mit schwacher Chancenverwertung relativ stark aus.
In der Folge der schlechteren Ergebnisse entbrannte die öffentliche Diskussion über eine zu hohe Belastung durch die extreme Ausrichtung und die Frage nach mehr Pausen. Danach waren immer mal wieder Phasen zurückhaltenderen Verhaltens gegen den Ball zu erkennen, sodass sich auf dem Platz ein recht klares 4-4-2 in nun „nur“ noch hohem Mittelfeldpressing ergaben. Auch in Folge von Verletzungssorgen stellte Roger Schmidt vor ein paar Wochen zudem Hakan Calhanoglu, der zuvor als nomineller Halbstürmer agiert hatte, ins zentral-„defensive“ Mittelfeld. Diese Umstellung hatte für die Defensive leichte Probleme in der Besetzung des Sechserraums, der Balance der Angriffe und in der Struktur der Zweikämpfe im Zentrum zur Folge, Schmidt hält daran bis heute jedoch fest (und in den letzten Spielen sah es bereits etwas besser aus). Leverkusen hat also zur Zeit kein grundsätzliches Stil-Problem, sondern leidet lediglich etwas unter mangelnder Konsequenz im Durchziehen des eigenen Plans. Die derzeitige Liga-Platzierung und die jüngsten Ergebnisse sollten also nicht dazu verleiten, die Leverkusener zu unterschätzen. Sie sind von ihrer Spielanlage her nach wie vor eine der hochklassigsten Mannschaften in der Bundesliga und ein äußerst unangenehmer Gegner, den zu schlagen äußerst schwierig ist.
Beachtenswerte Details
Das Leverkusener Spiel zeigt zudem einige taktische Details auf, die sowohl für die eigene Herangehensweise, als auch zur Vorbereitung auf die Leverkusener Angriffe zu beachten sind. Im gegnerischen Ballbesitz agiert Stefan Kießling oftmals etwas zurückhaltender und tiefer, sodass das Anlaufen etwa des ballführenden Innenverteidigers durch einen anderen Leverkusener vollzogen wird. Kießling selber dient dann als Zielspieler für die schnellen, hohen Zuspiele nachdem der Ball durch den eben angelaufenen Gegner lang und unkontrolliert geschlagen werden musste. Generell fungiert Kießling oft eher als Zuarbeiter für seine schnelleren Mitspieler, indem er den Ball etwas länger hält, Gegenspieler auf sich zieht, nach außen unterstützend ausweicht und dann seine schnellen Kollegen in geöffneten Räumen im Zentrum einsetzt. Auch in der Defensivarbeit muss Kießling unter Schmidt mehr und andere Aufgaben wahrnehmen als noch zuvor. Vor allem durch seine teilweise wirklich guten Ansätze im Rückwärtspressing (Pressen des ballführenden Gegners von hinten) trägt er wesentlich dazu bei, schnelle Ballgewinne zu erzwingen. Dabei schneidet er nachdem die „produktiven“ Passwege in die Spitze oder Breite bereits von seinen Mitspielern (unter anderem vom herausrückenden Sechser) zugestellt wurden und der Gegner bereits unter Druck gesetzt ist auch noch die eigentlich immer sichere Variante des Rückpasses ab und nimmt dem Ballführenden die Zeit, sich zu orientieren und sein Sichtfeld anzupassen. Seine Einbindung in das taktische Konstrukt der Leverkusener ist also insgesamt wirklich in Ordnung, obwohl ihm die technische Klasse und Dynamik abgeht, die für die Angriffe in ihrer zweiten Phase nötig wäre. Seine Rolle im Leverkusener Spiel ist dennoch wie gesagt durchaus wichtig, im Gegenzug büßt er allerdings teilweise dadurch bedingt auch etwas an Torgefahr ein.
Ein weiteres wichtiges Detail im Spiel der Leverkusener ist ihr Verhalten in den ersten Sekunden des Spiels. Bereits vom eigenen Anstoß weg wird der Ball direkt nach vorne gespielt, was in dieser Saison bereits zum schnellsten Tor der Bundesligahistorie führte. Im Sinne einer ansatzweise kontrollierbaren Anfangsphase wäre es aus Sicht von 96 also besser, mit einer Niederlage bei der Platzwahl in das Spiel zu starten, um selber den Anstoß ausführen zu dürfen. Doch da die Wahrscheinlichkeit dafür nur bei 50 Prozent liegt und Leverkusen mindestens einmal im Spiel sowieso den Anstoß hat, lohnt sich ein Blick darauf. Die Flügelspieler rücken mit dem Anpfiff direkt diagonal in die Spitze, dort wird nach der obligatorischen Ablage aus dem Anstoßkreis heraus Stefan Kießling gesucht. Er zieht mit dem Ball am Fuß kurzzeitig ein paar Gegenspieler auf sich und legt auf die nachrückenden schnellen Spieler ab, die dann oft das 1 gegen 1 in engen Situationen und in der Folge den schnellen Abschluss suchen. Um die Erfolgsaussichten zu erhöhen überladen die Leverkusener auch immer wieder einzelne Räume, sodass sie auch in der Bedrängnis noch kurze Anspielstationen haben oder Abpraller aufsammeln und den Angriff fortführen können. Mögliche Gegenmaßnahmen wären dabei etwa, mit dem Anstoß bereits etwas höher zu stehen, um mit Hilfe der kompakteren Staffelung die Chancen auf gewonnene Zweikämpfe oder Bälle zu erhöhen, selber mit zentrumsorientierten Flügelspielern zu agieren (die allerdings nicht vorne stehen bleiben dürfen), sich nicht zu stark am Gegenspieler zu orientieren, sondern eher auf das Aufrechterhalten der Raum- und defensiven Positionsbesetzung zu achten (gilt sowohl bei den ersten schnellen, kurzen Pässen um den Mittelkreis herum, aber insbesondere auch wenn Kießling an den Ball kommt) oder zu versuchen, den Ballführenden mit zwei Spielern (am besten ein Sechser und der zentraloffensiver Spieler) nach außen zu leiten.
Ein weiteres vor allem im Vergleich mit den meisten anderen Gegnern in der Bundesliga besonderes Detail ist das Leverkusener Defensivverhalten bei Standardsituationen. Im Gegensatz zu fast allen Teams setzt die Elf von Roger Schmidt dabei auf eine ziemlich konsequente Raumorientierung. Es gibt vermutlich zwar klare Zuordnungen zu den jeweiligen Gegenspielern, jedoch greifen diese erst kurz bevor es zu einem Zweikampf kommt. Vor und während der Ausführung des Standards decken die Leverkusener Spieler eindeutig die wichtigen Räume und lassen sich von ihrer Ordnung nicht durch die Bewegungen der Gegenspieler abbringen.
Die Pressingmechanismen sind wie bereits mehrfach erwähnt von Ein- und Aufrückbewegungen gekennzeichnet. Um möglichst großen Druck auf den Ballführenden zu erzeugen und um die Überzahl in der Umgebung des Balls hoch zu halten, rücken beispielsweise der ballnahe Außenverteidiger auf und der ballnahe Sechser ein, um den bereits pressenden Mitspieler auf dem Flügel zu unterstützen. Dazu orientieren sich natürlich auch die übrigen Spieler in Richtung des Balls. Dies ist zwar kein richtiges Detail, aber sehr wichtig für den folgenden Abschnitt…
Hannover 96: Mögliche Ansätze
Ein extremer Spielstil bietet natürlich auch Angriffspunkte, die jeder Gegner theoretisch nutzen könnte. Dass die praktische Umsetzbarkeit noch einmal eine ganz andere Herausforderung darstellt und sich mit etwaigen Anpassungen der Leverkusener an Hannover 96 auch wieder erledigt haben können, sollte ohnehin klar sein. Daher sind die folgenden Punkte auch vorrangig als Vorschläge gedacht, die nur theoretisch aus den dargestellten Eigenheiten des Leverkusener Spiels abgeleitet wurden. Einige davon sind eventuell nicht mal theoretisch plausibel, einige praktisch in den jeweiligen Spielsituationen – von denen sowieso fast alles abhängt – nur in Ausnahmen umsetzbar. Aber es ist den Versuch wert.
Durch das erwähnte sehr starke Verschieben der gesamten Leverkusener Mannschaft zum Ball ist teilweise die gesamte ballferne Spielfeldhälfte verwaist. Wenn nun trotz des enormen Drucks auf den Ballführenden und der Leverkusener Überzahl ein schneller Seitenwechsel gelingt bietet sich dort also sehr viel Platz für den Angriff. Um diese Verlagerung auch nur ansatzweise realisieren zu können ist es jedoch sehr wichtig, dass der den Ball besitzende 96-Spieler schnell verfügbare, kurze Anspielstationen finden können muss, da er angesichts des großen (Gegen-)Pressing-Drucks nur sehr wenig Zeit und immer weniger Platz und Optionen hat. Die Passwege nach vorne zu nutzen ist in den meisten Fällen wegen des Auf- und Einrückens der Leverkusener wohl kaum möglich, also muss es ein indirekter, aber dennoch schneller Seitenwechsel über einen tieferen Zwischenspieler sein. Am ehesten bieten sich abhängig von der konkreten Positionierung dafür wohl ein Sechser oder der ballnahe Innenverteidiger an. Dieser muss sich sofort in eine anspielbare Stellung bringen, wenn er erkennt, dass sein Mitspieler (auf dem Flügel) unter Druck gerät und dann natürlich schnell den offenen Raum auf der anderen Seite anspielen. Um in den ballfernen Zonen auch Anspielstationen vorzufinden könnte dort der jeweilige schnelle Flügelspieler je nach Situation zocken (sprich darauf lauern, dass es zu einer Verlagerung kommt) oder der Außenverteidiger aus der Tiefe starten.
In den hohen Pressingphasen der Bayer-Elf fällt immer wieder auf, dass mindestens ein aufrückender Sechser den Kontakt zur vorderen Linie sucht (siehe Grafik oben). Der Nebeneffekt dieser Herangehensweise ist jedoch, dass er so einen großen Zwischenlinienraum hinterlässt, da die Abwehr nicht immer rechtzeitig und schon gar nicht im selben Ausmaß nachrücken kann. Wenn in eben dieser Zone ein hängender Stürmer angespielt werden kann, hätte dieser ein wenig mehr Zeit, bis er selber wieder unter Druck gesetzt wird. Diese Anspiele dürfen nicht nur, sondern sollten auch in der Mehrzahl lang und hoch erfolgen. So würde nicht nur gewährleistet, dass er möglichst schnell an den Ball gelangt, sondern der große Vorteil dieser (wenn auch verpönten) langen Bälle ist zudem, dass mit ihnen die erste aggressive Pressinglinie der Leverkusener überspielt würde. Es ist schließlich das Ziel der Elf von Roger Schmidt, den Gegner im Spielaufbau zu unkontrollierten Schlägen zu zwingen. Dieser Absicht könnte Hannover 96 damit begegnen, diese frühen langen Bälle absichtlich, aber eben planvoll auf einen tiefer stehenden Zielspieler anzubringen. Dazu müsste 96 das Leverkusener Angriffspressing gewissermaßen „anlocken“ und den hohen Ball erst dann spielen, wenn der herausrückende Sechser die beschriebene Lücke hinterlassen hat. Als wäre dies nicht schon schwierig (unrealistisch?) genug, so muss der hängende Spieler jedoch auch schnell die Anbindung an seine Mitspieler finden.
Hat der hypothetisch so angespielte Stürmer den Ball gerade unter Kontrolle gebracht, rücken in der Regel die Leverkusener Außenverteidiger sofort auf und ein, um den verbliebenen Sechser im Pressing zu unterstützen. In einigen Situationen war außerdem zu sehen, wie die Innenverteidiger (vor allem Spahic) einen sich im Spielaufbau weit fallen lassenden Gegenspieler (beispielsweise Stindl) bis in die gegnerische Hälfte (!) verfolgen. So wird natürlich erneut kurzzeitig einiges an Raum geöffnet, der nur wegen des hohen Drucks auf den Ballführenden in den meisten Fällen nicht direkt bespielt werden kann. Um dieses ständige riskante und am Ball orientierte Verlassen der Positionen der Leverkusener zu nutzen, müsste man also sehr schnell und direkt spielen, während man unter großem Druck steht. Solch pressingresistente Spieler sind aber im 96-Kader leider kaum vorhanden (vorausgesetzt Lahm, Busquets, Modric oder ähnliche Spieler wechseln nicht noch kurzfristig zu 96). Man könnte es mit nicht bereits im frei gewordenen Raum stehenden, sondern in den gerade geöffneten Raum stoßenden Spielern zu kompensieren versuchen, die dann möglichst schnell wieder den Ball zurück spielen (je nachdem wie Leverkusen rückwärtspresst…) oder schnell abzulegen versuchen. Generell sind also schnelle, direkte und auf Ablagen konzentrierte Gegenstöße mit immer wieder eingestreuten Spielverlagerungen ein zwar sehr schwieriger und auch durchaus riskanter, aber grundsätzlich vielversprechender Ansatz gegen das Leverkusener Spiel.
Der Platz hinter den Leverkusener Außenverteidigern ist oft sehr groß. Zum einen wegen ihres ständigen frühen Aufrückens im Pressing, zum anderen wegen ihrer hohen Positionierung im Aufbau. Diesen Raum sollte 96 beim Umschalten anvisieren. In der Folge rücken die Innenverteidiger und Sechser schnell und direkt heraus/herein, öffnen dadurch aber wiederum selber Räume. Dort wäre dann ein hängender Stürmer wichtig. Generell muss der Stürmer/ müssen beide Stürmer also immer wieder in tiefere Zonen fallen, um die freien Räume hinter den nach vorne pressenden Leverkusenern zu besetzen und schnell Entlastung für ballführenden Mitspieler zu schaffen.
Aus den Erfahrungen der bisherigen Gegner von Leverkusen ist es grundsätzlich durchaus ratsam, schnell ins dritte Drittel zu gelangen. Dann steht Leverkusen erzwungenermaßen etwas tiefer und muss das Risiko im Verlassen der Formation etwas reduzieren. Von dort könnte 96 versuchen, durch Spielverlagerungen nach sich zwangsläufig ergebenden Lücken zu suchen und wäre bereits recht nah am Tor (erfordert jedoch wie das gesamte Spiel hohe Ballsicherheit, Gedankenschnelligkeit, konstante Bewegungen ohne Ball, Ruhe auch unter Druck…). Ein weiterer Vorteil wäre zudem, dass Leverkusen weit weg vom Tor ist und der Weg im Umschalten, selbst wenn sie den Ball gewinnen können sollten, ist sehr lang.
Bei allem muss 96 selber jedoch natürlich bedenken, dass die gute Absicherung der eigenen Angriffe und Konter zwingend erforderlich ist. Wenn der direkte Gegenkonter der Leverkusener erst einmal rollen sollte ist er wegen der auch bei hohem Tempo extrem ballsicheren Offensivspieler kaum noch zu stoppen. Der in den verschiedenen Situationen jeweils ballferne Außenverteidiger muss also sehr aufmerksam sein: einerseits muss er spontan nachstoßen um die offene Seite schnell zu erschließen, andererseits muss er schnell defensiv absichern oder die Kette halten, wenn Ball wieder verloren wurde. Die beiden Sechser sollten dazu immer engen Kontakt zueinander halten, generell ist eine große Kompaktheit in jeder Spielphase gefragt bis auf maximal zwei zockende Spieler in ballfernen Zonen (s.o.). Kurz gesagt: Die Basiselemente des Defensivspiels müssen von 96 gegen Leverkusen wie immer umgesetzt werden, nur sind nochmal erhöhte Aufmerksamkeit und leichte Anpassungen gefordert.
Im Offensivspiel ist wie dargestellt insgesamt eine durchaus riskante Spielweise erforderlich mit der ständig lauernden Gefahr des Ballverlustes und Konters. So ist ein durchaus hektischer Spielrhythmus nicht nur möglich, sondern vielmehr von Leverkusen quasi gewollt. Eine mögliche Antwort darauf könnte sein, den Rhythmus selber zu bestimmen. Die wie bereits erwähnt vielen langen Bälle, nachdem man Leverkusen im hohen Pressing hat kommen lassen, dann das Hoffen auf schnelle Ablage- und Flügelkonter, ohne die eigene Absicherung aufzugeben wären zwar eine sehr opportunistische und teilweise unansehnliche Spielanlage. Das Spiel mutwillig ein bisschen zu zerstören, könnte dennoch erfolgversprechend sein: Einerseits könnte man so die Gefahren des Leverkusener Pressings etwas besser kontrollieren (wird teilweise überspielt und so vom eigenen Tor weiter ferngehalten), andererseits bestünde immer die Möglichkeit, das von Leverkusen eingegangene Risiko auszunutzen. Lange Bälle, die nicht ankommen, Umschaltsituationen, die wegen der erforderlichen hohen Geschwindigkeit und ihrer erzwungenen Fehleranfälligkeit oft scheitern, die Absicherung der eigenen Angriffe, die nicht aufgegeben werden darf, frühe taktische Fouls gegen die Leverkusener Konter, viele lange Bälle von Zieler, ein bewusst kaum existenter flacher Spielaufbau: Das wäre ein Spiel, das bei vielen Zuschauern wohl zu Pfiffen führt, aber das muss 96 egal sein.
Fazit
Leverkusen ist einer der unangenehmsten Gegner für nahezu jede Mannschaft, die zuletzt etwas enttäuschenden Ergebnisse sind eher keine Folge taktischer Probleme. Zwar wird die Begegnung auch für Hannover 96 alles andere als einfach, aber einige Elemente des bisher gesehenen 96-Spiels könnten sogar ganz gut zum kommenden Gegner passen. Gegen das hohe Leverkusener Pressing und die immer wieder nachrückenden Defensivspieler wird auch 96 in nicht wenigen Situationen unter hohem Druck stehen, um Ballverluste möglichst zu vermeiden sollten eben solche Situationen mit langen Bällen oder kurzem, schnellem Spiel mit dem Ziel der Verlagerung zu überspielen versucht werden. Auf einen offenen Schlagabtausch sollte sich Hannover nicht einlassen, daher könnte es zu einem in weiten Phasen eher unansehnlichen Spiel führen. Aber all die Überlegungen können hinfällig werden, wenn 96 in der dritten Minute nach einem Freistoß trifft oder Leverkusen vom Anstoß weg erneut ein Tor erzielt. Daher bleibt zum Glück noch genug Spannung offen.
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