Crunchtime im Ligaendspurt. Während die angebliche Überraschungsmannschaft aus Augsburg den angeblich sensationellen Einzug in die Qualifikation zur Euro-League sicherstellen wollte, kämpfte Hannover 96 am vorletzten Spieltag um den Ligaverbleib. Nach dem Sieg gegen Bayern München in der Vorwoche überzeugt der FCA wie immer mit gruppentaktischer Sauberkeit, scheitert aber an wichtigen Details im Offensivspiel. Hannover verteidigt überwiegend gut und drängt mit den gewohnt schlichten Mitteln und vorsichtigen Kontern auf den existenziell wichigen Erfolg. Am Ende muss der Schiedsrichter kräftig unter die Arme greifen, damit daraus gegen unglückliche Augsburger etwas wird.
Die erste Halbzeit
Im Rückblick auf die ersten 45 Minuten verdeutlichten bereits die ersten Szenen des Spiels, welche Herangehensweisen beide Mannschaften bieten würden: Hannover unternahm vom Anstoß weg den Versuch, direkt und schnell in die Tiefe zu spielen, während sich die Augsburger im Spiel gegen den Ball etwas überlegt hatten.
Gegen den Hannoverschen Spielaufbau formierten sich die Fuggerstädter wie bereits in der Partie bei Bayern München in der Vorwoche in einer 4-3-3-Staffelung, indem Altintop zentral aufrückte und gemeinsam mit Tobias Werner (links) und Raul Bobadilla (rechts) die erste Pressinglinie auf Höhe der 96-Abwehrspieler bildete. Dabei gab es zu Beginn der Partie einen etwas geringeren Abstand zwischen Altintop und Werner zu beobachten, während Bobadilla etwas breiter und auch geringfügig höher zu stehen schien. Daraus ergab sich ein leicht leitender Effekt, indem das Spiel durch den rechten Halbraum (Stindl) zu blockieren versucht wurde. Hinter den höchsten drei Augsburger Spielern orientierte sich der nominell rechte Flügelspieler Markus Feulner auf die Höhe von Fußballgott Baier und Dominik Kohr, was zu einem kompakten Block im defensiven Zentrum der Augsburger bei langen Bällen führte. 96 war im Spielaufbau recht stark eingeschränkt, was aber auf Grund der Neigung zu frühzeitigen langen Bällen nicht allzu schwer ins Gewicht fiel. Bei den langen Zuspielen fokussierte sich Hannover allerdings etwas überraschend etwas mehr auf die linke Seite um Edgar Prib und Salif Sané. In ein paar Situationen eröffnete sich dadurch die Möglichkeit, sich nach dem Gewinn des zweiten Balls mit Nadelspieler Kiyotake aus den engen Räumen zu befreien und Stindl auf der rechten Seite mit mehr Platz ins Spiel bringen zu können. Oft agierte der zukünftige Gladbacher in dieser Partie auch stärker ins Zentrum orientiert als noch vor einer Woche. Damit reagierte er auch auf die zwar selteneren, aber etwas gleichmäßiger verteilten Offensivaktionen seiner Mannschaft.
Grundsätzlich wirkte das Angriffsspiel Hannovers nicht mehr so extrem auf Lars Stindl zugeschnitten wie noch in der Vorwoche gegen Werder Bremen. Sehr oft stellte der 96-Kapitän allerdings nach wie vor den Ausgangspunkt der gefährlichen Attacken seiner Mannschaft dar, indem er Andreasens Tiefensprints und Briands Ausweichen mit langen Zuspielen bediente. Diese Art des Offensivspiels stellte ohnehin das wichtigste Merkmal Hannovers dar: lange Bälle und Läufe in die Tiefe auf den Flügeln und in den seitlichen Spielfeldzonen. Passend dazu bewegte sich Briand oft in die Schnittstellen zwischen den gegnerischen Innen- und Außenverteidigern. Dort sollte er wohl nach gewonnenen zweiten Bällen und nach kurzen Ablagen bedient werden, was seiner hyperaktiven, sehr umtriebigen und in der Positionsfindung dennoch konstanten Spielweise entgegenkam. Im Umschalten verfolgte 96 allerdings einen eher zurückhaltenden Plan und rückte nur sehr bedacht und vorsichtig nach. Insbesondere in der Anfangsphase der Begegnung fand sich der Empfänger der langen Zuspiele in ziemlich isolierten Kontersituationen wieder, sodass 96 mit der nur punktuell ansprechenden Offensivpräsenz wenig Durchschlagskraft kreierte. Die positive, und wohl auch intendierte, Begleiterscheinung der geringen Wucht im Angriff bestand jedoch in einer guten Absicherung der eigenen Konter. Diese vorsichtige Ausrichtung ist gegen eine sehr konter- und tempostarke Mannschaft wie die Augsburger auch sehr sinnvoll, sodass die Gastgeber nach Ballgewinnen kaum zu gefährlichen Abläufen im Ballbesitz kommen konnten. Die Auseinandersetzung um zweite und lose Bälle im zweiten Drittel dominierte dementsprechend über weite Strecken das Bild der Begegnung. Eine solche Situation ging auch dem Führungstreffer für Hannover voraus: Andreasen gewann das Kopfballduell nach einem langen Ball, Stindl verlängerte zum nach rechts ausweichenden Kiyotake. Der Japaner brachte den Ball flach zu Briand im Strafraum, dessen Ablage mit der Hacke Stindl zentral vor dem Tor verwertete. Abgesehen von einer guten Chance durch Andreasen nach einem abgewehrten Eckball in der dritten Spielminute war dies die einzige gute Möglichkeit Hannovers im ersten Durchgang.
Ansonsten dominierte Augsburg den Ball und die Begegnung. Dabei zeigte sich die Weinzierl-Elf variabel im Spielaufbau und suchte auf gewohntem Wege nach Lücken in der gegnerischen Defensive. Geduldig ließen die Aufbauspieler den Ball in der Horizontalen zirkulieren und versuchten, sich Räume auf den Flügeln zu erschließen, wenn der Gegner etwas unsauber verschoben hatte. Dabei zeigten sie überwiegend zwei dominante Staffelungsvarianten: Kippte Daniel Baier zentral zwischen die weit auffächernden Innenverteidiger ab, hielt sich Dominik Kohr halbrechts und etwas tiefer im Mittelfeld auf, während Werner etwas höher agierte und sich im Zwischenlinienraum positionierte. In einigen anderen Phasen kippte Baier seitlich nach links heraus und Klavan bildete die zentrale Anspielstation der Aufbaureihe. War dies der Fall, verblieb Kohr zentral im Mittelfeld, Verhaegh hielt eine engere Anbindung an die erste Reihe und Linksverteidiger Baba schob sehr weit auf. War der flache Weg in die Halbräume über Baier und Verhaegh nicht möglich, warteten die Augsburger auf den Moment, in dem sie sich den ballfernen Flügel freigespielt hatten und bespielten diese Räume sofort mit langen Diagonalbällen. Überwiegend wurde dieses Vorgehen von Hong praktiziert, der auf diese Weise auf Baba spielte. Von dort sollten über Werner, den eingerückten Feulner und den ausweichenden Bobadilla schnelle Kombinationen zum Torabschluss führen oder zu Durchbrüchen über die Seite führen. Nach diesem Muster fiel so auch der Ausgleich, als Baba den langen Ball sofort am wie so häufig orientierungslos umherirrenden Sakai vorbeilegte und sich der Japaner nur mit einer sinnlosen Grätsche zu helfen wusste. Den fälligen Strafstoß verwandelte Verhaegh sicher.
Auch danach war Augsburg gezwungen, das Spiel zu machen und suchte nach dem dargestellten Muster nach Lösungen gegen kompakte und überwiegend diszipliniert verteidigende Hannoveraner. Bei Abstößen von Hitz rückte Leon Andreasen mannorientiert zu Baier auf, während Kiyotake den Koreaner Hong und Briand den linken Innenverteidiger Klavan zustellten. So wurde Augsburg gelegentlich zu langen Bällen bei Abschlägen gezwungen, hatte aber nach der Eroberung der zweiten Bälle wieder die Möglichkeit, von 96 weitgehend ungestört die Zirkulation im ersten Drittel aufzuziehen und mit leicht aufrückenden Innenverteidigern nach neuen Passwegen zu suchen. Dabei sorgten Kleinigkeiten für genug Störung, um eine gute Anbindung an das Augsburger Mittelfeld zu verhindern. Kiyotake lief Hong klug bogenförmig an, sodass der Rückpass in das Zentrum unmöglich wurde und der Koreaner den langen Ball in die Spitze spielen musste. Stindl griff einige Male sehr direkt auf Baier oder Klavan zu, sodass diese unter Druck nicht die gewünschten Anspiele anbringen konnten. Pribs diagonales und dynamisches Anlaufen von Verhaegh sorgte ebenfalls für ein paar ungewünschte Pässe, wenngleich der Holländer mit seiner technischen Klasse und seiner Stabilität und Kreativität im Passspiel ein paar Situationen noch zu retten vermochte. So fand Augsburg abgesehen von den langen Diagonalbällen nicht wirklich in einen guten Spielfluss, konnte wegen der kompakten 96-Defensive nur sehr selten Tempo aufnehmen und blieb weitgehend schwach im Hinblick auf Durchbrüche. Nur gelegentlich konnten Bobadillas Ausweichen, Werners diagonale Tororientierung oder Feulners zentrale Unterstützung sinnvoll eingebunden werden. Augsburg agierte in der ersten Halbzeit somit zwar taktisch gefällig, stabil und mit einem im Prinzip guten Plan, wurde aber auch von kleineren Elementen in Hannovers Pressing und eigenen Unzulänglichkeiten im Freilaufen von konstanter Durchschlagskraft abgehalten. Zusammen mit Hannovers offensiver Momente-Abhängigkeit und dosierter Konterlastigkeit ergab sich ein einigermaßen leistungsgerechtes Unentschieden zur Pause.
Die zweite Halbzeit
Markus Weinzierl passte die Aufbaustruktur seiner Mannschaft in der Halbzeitpause leicht an. In den ersten Minuten nach Wiederanpfiff nahm Dominik Kohr zunächst eine etwas dominantere Rolle und kippte etwas zentraler ab. Zudem wurde Torwart Hitz zu Beginn des zweiten Durchgangs stärker in die Ballzirkulation im ersten Drittel eingebunden, wohingegen Daniel Baier etwas höher verblieb. In Folge dieser leichten Umstellung stellte das Heimteam auch ihr direktes Spiel auf die Flügel weitgehend ein. In Ansätzen überluden die Augsburger im Ballbesitz ihre linke Seite, fanden aber nur wenig Durchkommen. Hannover stand seinerseits mit dem Mittelfeldband etwas tiefer und konnte damit die Bemühungen des Gegners etwas eindämmen, sich dem Strafraum mit Tempo zu nähern. Nach wenigen Minuten zog es Daniel Baier jedoch wieder in seinen natürlichen Lebensbereich zurück und er steuerte das Spiel wie in der ersten Halbzeit aus einer zentraleren Position. Nach wie vor mangelte es den Augsburgern allerdings an stabilen flachen Übergangsmechanismen in höhere Zonen, sodass sie nur wenige Durchbrüche erzeugen konnten.
Hannover auf der anderen Seite änderte zunächst abgesehen von der etwas zurückhaltenderen Positionierung des Mittelfelds im Pressing wenig. In einzelnen Szenen erzeugten die Roten durch nachrückende Läufe der Sechser und etwas riskanteres Nachschieben bei Kontern größere Gefahr. Dabei setzte sich der Trend aus der ersten Halbzeit fort, und 96 verzichtete oft auf hohe Hereingaben in den Strafraum (allerdings auch durch die noch umschaltlastigere Spielweise begünstigt), sondern suchte verstärkt nach Wegen durch die Schnittstellen der gegnerischen Abwehr. 96 gelangen nach Balleroberungen in der eigenen Hälfte noch wenige schöne und schnelle Kombinationen bei Kontern, die recht dynamisch über die Flügel ausgespielt wurden, konnte sich aber auch auf diesem Weg keine große Anzahl an Torchancen erarbeiten. Der erneute Führungstreffer für 96 war zehn Minuten nach dem Wiederanpfiff dementsprechend auch nach einem gewonnen zweiten Ball im Mittelfeld und direktem Spiel in die Spitze gefallen. Leon Andreasen errempelte sich höchst grenzwertig den Ball von Halil Altintop und beförderte ihn auf gut Glück in die Spitze, von wo Briand das Spielgerät in den Strafraum trug und zu Stindl querlegte, der sich gegen drei Gegenspieler durchsetzte und erneut netzte.
Die Augsburger hatten zuvor Højbjerg für Feulner gebracht, allerdings an ihrer Besetzung und Formation überraschenderweise wenig geändert. Die Linkslastigkeit der Augsburger unterstützend schob der Däne oft von seiner rechten Seite herüber, verhalf Augsburg aber auch damit nicht zu Durchschlagskraft. Nach dem Rückstand reagierte Weinzierl erneut und brachte mit Esswein für Altintop eine lineare und breitstehende Alternative für den rechten Flügel, sodass Højbjerg ins Zentrum rückte. Dennoch fanden die Fuggerstädter keine konstant guten Verbindungen im Mittelfeld und erzeugten nur vereinzelte Momente von Spielfluss in den Halbräumen. Für den angeschlagenen Andreasen brachte Michael Frontzeck mit Ceyun Gülselam eine robuste Absicherung des Vorsprungs. Augsburg drängte gegen immer tiefer stehende Hannoveraner weiter, kam aber auch trotz größerer Flügelpräsenz und offensiver Außenverteidiger zu selten in den 96-Strafraum. Der überfällige Platzverweis für Hiroki Sakai ließ die Hoffnungen der Gastgeber auf den Ausgleichstreffer dann aufleben. Kapitän Stindl nahm die vakante Position rechts in der Viererkette ein, und der frisch eingewechselte Karaman ersetzte Kiyotake im Mittelfeld. Gegen das 4-4-1 Hannovers gelang es den Augsburgern, die in Folge der Einwechslung von Sascha Mölders nun in einem offensiven 4-4-2 auftraten, nun recht gut, sich um den Hannoverschen Block in die Nähe des Strafraums zu spielen. Insbesondere Daniel Baier fand einige gute Lösungen, um von der Seite in das Zentrum vor dem 96-Strafraum zu gelangen, da sich 96 in einigen Situationen auch viel zu flach staffelte und nur schlecht Druck auf das Spielgerät entfachen konnte. Augsburg forcierte in der sehr hektischen und unruhigen Schlussphase mit schnellen, linearen Aktionen und langen Seitenwechseln das eigene Flügelspiel, prallte aber sehr oft an der robusten und guten Endverteidigung ab. In den letzten Minuten störte interessanterweise Ceyhun Gülselam an Stelle des ausgewechselten Briand als höchster 96-Akteur den gegnerischen Spielaufbau und überzeugte dabei mit seinem enormen Deckungsschatten und seiner großen Reichweite, während Felipe seinen Platz neben Sané im defensiven Mittelfeld einnahm. Nach ein paar engen Szenen im 96-Strafraum, einigen gescheiterten langen Pässen hinter die 96-Abwehr, einer Riesentat von Weltmeister Zieler, einer Gelb-Roten Karte für FCA-Kapitän Verhaegh und vielen Entlastungskontern in Unterzahl von 96 stellte der Platzverweis wegen einer Tätlichkeit gegen Raul Bobadilla den Schlusspunkt der Begegnung dar.
Fazit
Ein komisches Gefühl. Hannover zeigte ein paar gute Momente im Angriff, überzeugte mit vereinzelten sehr guten Kontern und kurzlebigen Kombinationen. Defensiv stand Hannover meist gut, und bremste Augsburg hin und wieder sinnvoll aus. Die Augsburger hatten einen guten Plan, setzten ihn auch in einigen Situationen gut um, scheiterten aber sowohl an sich selbst, als auch an 96. Der Kampf um zweite Bälle und viel Flügelzeug entschieden letztlich die Partie, bei der 96 sämtliches Pech mit Schiedsrichterentscheidungen aus der bisherigen Rückrunde innerhalb von 90 Minuten ausgleichen durfte. Vor dem 0:1 übersah Schiedsrichter Zweyer ein Handspiel von Schulz, vor dem 1:2 bewegte sich Andreasen scharf an der Grenze der Legalität. Zudem blieb den Augsburgern ein unstrittiger Handelfmeter verwehrt. Somit müssen die Augsburger das bisher angesammelte gute Karma Hannovers ausbaden und nach einem sehr ruppigen und etwas groben Spiel mit der Niederlage leben. Für die erneut ordentliche Leistung mit gewissen Schatten belohnt sich Hannover aber und hat den Klassenerhalt in der nächsten Woche gegen Freiburg in der eigenen Hand – Ausgang nach wie vor ungewiss. Ein paar mehr Torchancen muss sich 96 dabei aber schon erarbeiten und darf gerne auch noch kombinativer auftreten.
Spieler des Spiels: Lars Stindl
Don’t mess with LS10 (obwohl er heute im Passspiel merkwürdig unempathisch auftrat). Hiroshi Kiyotake profitierte von gewissen Ballungen im Zentrum und löste enge Situationen sehr gut auf, sodass er seine große Stärke (das Erzeugen gefährlicher Situationen durch einzelne, vom Spielgeschehen weitgehend gelöste, Dribblings und Pässe) in ansprechendem Ausmaß einbringen konnte. Hiroki Sakai spielte wie immer, nur noch ein bisschen mehr zum Haare raufen. Briand war auch ganz gut.
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